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Pfeiffer, Thomas
Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit: die internationale Zuständigkeit im Zivilprozess zwischen effektivem Rechtsschutz und nationaler Zuständigkeitspolitik — Frankfurt am Main: Klostermann, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.49328#0246
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A. Geistesgeschichtliche Grundlagen prozessualer Gerechtigkeit
I. Relevanz

Wendet man sich auf der Suche nach einer möglichst überzeugenden In-
terpretation unserer rechtsstaatlichen Praxis den geistesgeschichtlichen
Grundlagen eines rechtsstaatlichen Zivilprozeßrechtsverständnisses zu,
so treten vor allem seine Bezüge zu Freiheit5 und Freiheitsrechten her-
vor, wie sie in erster Linie, aber nicht nur bei Immanuel Kant sowie bei
John Locke und Charles de Montesquieu zu finden sind6. Sie werden des-
wegen exemplarisch herausgegegriffen, weil sich auf diese Weise die zwei
wesentlichen rechtsstaatlichen Funktionen der Justiz7 zeigen lassen: ihre
Bedeutung für den zur Verwirklichung personaler Freiheit unerläßlichen
„bürgerlichen Zustand des Mein und Dein“ und ihre institutionelle Be-
deutung im gewaltenteiligen Staat. Die in dieser Betrachtung zugleich
liegende Beschränkung8 ergibt sich aus dem vornehmlich international-
prozeßrechtlichen Ziel dieser Untersuchung.
Andererseits erscheint eine solche Grundlagenerörterung unverzicht-
bar. Aus unserer Erkenntnis, daß es im internationalen Prozeßrecht an
einer neutralen Schiedsinstanz fehlt, die gegenüber der exorbitanten Zu-
ständigkeitspolitik einzelner Staaten eine rechtsstaatliche Kontrolle
durchführen und die Verwirklichung ihrer Ergebnisse auch durchsetzen
könnte, folgt, daß nicht lediglich die Lösung einzelner Probleme, die
pragmatische Korrektur einzelner Mißstände, sondern die Beseitigung
struktureller Gefährdungen gefordert ist. Daß gegenüber diesen Gefähr-
dungen der Freiheit der Parteien, von ihren subjektiven Privatrechten
Gebrauch zu machen, die Schaffung rechtsstaatlicher Sicherungen eine
taugliche Vorkehrung ist, liegt zwar nahe und könnte schlicht vorausge-
setzt werden.
5 Der Begriff Freiheit würde zur weiteren Explikation reizen, die hier unmöglich ist.
Freiheit wird daher verstanden als Möglichkeit des Menschen, tun und lassen zu können,
was er will, vgl. etwa Becker, Freiheit, die wir meinen, S. 111.
6 Zum Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip etwa Kunig, Rechtsstaatsprinzip,
S. 23; zum Verhältnis zwischen der anglo-amerikanischen „rule of law“ in der Tradition
Lockes zum Rechtsstaatsprinzip MacCormick, JZ 1984, 65; ferner Denninger, „Rechts-
staat“, in: Hdl. z. Rechtswissenschaft; Scheuner, FS DJT II, S. 229 (235 ff.).
7 Vgl. zu Menschenrechten und Gewaltenteilung als den beiden hauptsächlichen Prin-
zipien des Rechtsstaats Dreier, JZ 1985, 353.
8 Wegen eines umfassenderen Überblicks etwa Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen
Rechtsordnung II/l, durchgehend, insbesondere S. 24 ff.

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