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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0074

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42 XVII.
DIE VERWANDELUNG DES
L Y C ' A O N
IN EINEN WOLF.
In villos abeunt veßes, in crura lacerti;
Fit lupus.
Ovid. Met. i. vs.


Ls die eiserne Zeit nach der ehernen eingetreten war, hielten die La£
ter , welche bishieher noch nicht auss euserste waren getrieben wor-
den, nun weder Maas noch Ziel mehr. Die Schaamhastigkeit, Red-
lichkeit und Wahrheit wurden von der Erde vertrieben und an ihre
stelle kamen der Betrug, die Verrätherey, die Gewalttätigkeit nebft
dem Geitze, welcher eine Wurzel alles Übels ist. Die Menschen slennen an (ich
des Eigenthums der Dinge anzumaasen , und theilten nun auch die Erde unter
sich , welche noch immer gemeinschaftlich gewesen war, gleich wie Lust und
Licht. Sie wolten sich mit der Erndte und andern in Uberssuss sallenden Fruch-
ter der Erde nicht mehr begnügen lafTen , sondern ftohrten nun auch biss in ihr
innwendiges hinein , um die Schatze heraus zu schleppen , welche sie deswegen
so tief schiene verborgen zu haben,damit die Begierlichkeit der Menschen dadurch
nicht solte gereitzet werden. Das Eisen, und welches noch viel fchädlicher als
dieses war, das Gold, waren kaum bekant worden , so sahe man die Uneinigkeit
entstehen, welche so wohl durch Hülse des Eisens als auch des Goldes allerwegen
Krieg anrichtete, und den Lerm der Wassen in der ganzen Welt erschallen sies.
Ein ieder wolte vom Raube leben; die Pflichten gegen die Fremden und Gäste
wurden nicht mehr beobachtet, der Schwieger-Vater sürchtete sich schon vor dem
Eydam, und selbst unter Brüdern wolte die Freundschast etwas feltzames werden.
Der Mann ftunde feiner Frau nach dem Leben und die Frau dem Manne. Man-
che graufame Stief-Mutter half ihren Stief-Kindern mit Gift vom Brode; ja die
Kinder fchickten wohl ihre Vatter nach der andern Welt. Die Gottes-furcht
wurde ganz hindangefetzet, und Aftrea , d:e Gottin der Gerechtigkeit , welche
unter allen Gottheiten noch am langften bcy den Menschen geblieben war nahm
endlich auch ihren Abfchied von der Erde, weil fie folche in Blute aldchfam
fchwimmen fahe. ' ö
Da nun der Rus von dieser Zerrüttung bis in den Himmel kam , so wolte Tu-
piterfehen, ob auch alles fo fey, nahm dahero Menfchliche Geftalt an fich und
that eine Reife auf die Erde. Er kam nach Arcadien, und nachdem er einiges Zei-
chen feiner Gottheit blicken laften, fo fieng das Volk fchon an, ihm die fchuldi^e
Ehrerbietung zu erweifen: jedoch Ly caon der König des Landes, welcher ihn 111
feinem Schlöffe aufgenommen hatte , trieb feinen Spott mit ihrer heilio-en Einfalt
und Leichtgläubigkeit. „ Ich will bald fehen , fagte er, ob diefer Fremde ein
„ Gott oder ein Menfch ift ; ich weifs ein Mittel darzu, welches mich nicht be-
„ trugen kan". Er hatte aber willens, ihm, wenn er eingefchlafFen feyn wurde,
das

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