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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0083

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48


PYGMALION.
lncumbenfque toro dedit ofcula: vifa tepere eß
Admovet os herum, manibus quoquepe&ora tentat:
"Tentatum mollefcit ebur 5 poßtoque rigore
Suhfedit digitis, ceditque----
Corpus erat, faliunt tentat<e pollice vente.
O ViD. Met. i o. vs. z8 i. feqq.
Ygmalion 1 sahe die Unzuchtigkeit vieler Cyprischen Jungfrauen,
Propcetides1 genannt, mit Augen an , und bekam dahero vor dem
Geschlechte , welches von Natur solchen schandlichen Schwachhei-
ten unterworfen, einen so grosen Abscheu, dass er ohne Ehefrau zu
leben beschlolTe. Unterdelsen machte er ein Bild von Elfenbein,
welches an Schönheit die allervollkommensten Weibsbilder ubertraf, und in die-
ses verliebte er sich. Es Hellte aber solches eine Jungfer vor. Man hatte sollen sa-
gen , sie lebete und wolte sich nur vor Schamhaftigkeit nicht rühren; so gleich
war hier die Kunst der Natur gekommen. Pygmalion lies sich die Liebe gegen
dieses Bild so sehr einnehmen und von seinem eignen Hände-Werk also verfuhren,
dass er es anfühlte, obs auch von Fleisch oder von Elfenbein wäre , und ob er es
oleich mit den Händen gnugsam betastet hatte, so konte er doch noch nicht gewiss
glauben , dass es ein lebloses Ding sey. Er küssete selbiges und bildete sich ein,
es kusse ihn hinwiederum, er sprach gegen solches; und wenn er es umarmete, so
deuchtete ihn , als ob er wirkliches Fleisch berührte , und war besorgt, dass er
ihm durch allzustarkes Anfallen nicht etwa wehe thun mochte. Bisweilen that er
freundlich mit selbigem, bisweilen brachte er ihm allerhand kleine Geschenke, wel-
che junge Leute gerne zu haben pflegen , als Muschelwerk , Vogelgen , Blumen
und Stuckgen Ambra. Er schmückte es mit kostlichen Kleidern, er iezte ihm eine
artige Haube auf, es muste Ringe an den Fingern , eine Perl-Schnur um den Hals
und Ohren-Gehänge haben. Gefiel sie aber so schdn und zierlich ausgepuzt (einen
Augen wohl, so hielte er sie nicht weniger vor liebenswürdig, wenn sie ganz nac-
kend wäre. Er nennte diese Puppe seine Frau , legte sie zu sich ins Bette, und
gab wohl Achtung, dass sie fein weich liegen muste, gleich als ob sie einige Emp-
findung davon hätte. Da nun inzwischen das Venus Fest, welches gar ein heili-
ger Tag in der Insel Cypern war, einfiel, sahe man allerwegen junge weise Kühe
mit vergoldeten Hornern zum Opfer bringen und auf allen Altären Weyrauch
bren-
ANMERKUNGEN.
t Pygmalion 1 Man muss diesen Bildhauer nicht mit dem und da sie solcher Gestalt nichts mehr von dem Unterscheide
Pvemalion welcher ein Konig zu Tyrus und ein Bruder der Dido zwischen Ehre und Schande gewust , so wäre ihre Verwandlung
war verwechseln lhnen nur elnegar leichce Veränderung gewesen. Und diese worte
Propoetides 1 Dieses waren Weibs-personen aus der In- zeigen uns auch den rechten Verstand dieser Fabel. Dass die Pro-
sei Cyprus , welche in Stein-Felsen verwandelt wurden. Venus pcetides ihre Ehre so wenig geachtet,daher haben die Poeten Ge-
wolte sich an ihnen rächen, dieweil sie sich nicht gescheuet hat- legenheit genommen , zu dichten , dass sie in Felsen oder Stein-
ten, ihre Gottheit zu leugnen, daher lies sie in ihren Hertzen ein Klippen verwandelt worden. Wodurch sie zu gleich haben an-
Feucr der Unzucht entbrennen. Ovidius saget, dass sie die ersten denten wollen, dass man durch die lange Ausübung eines Lastcrs
Weibs leute gewesen , welche sich zu Huren gebrauchen lasfen, endlich ganz verhärtet werde-
3. Die
 
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