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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0160

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ioö XXXIX.'
DER IN EINE
BLUME VERWANDELTE
N A R C I SSV S.
---Vifa correptus imagine sormte 5
Spem sine corpore amat: corpus putat ejfe qmdumbra eß,
Ac ssupet ipfe fibi.
OviD. Met. 3. vs. 416. seqq.
1 r 1 o p e 1 hatte den Tirefias gefraget, was ihr Sohn NarcilTus vor
ein Schickfal zu erwarten hatte , woraus ihr diefer Wahrfager zur
Antwort gegeben , er wurde zu einem sehr hohen Alter gelangen,
wenn er lieh nur nicht selbft zu sehen kriegte. Erft dachte man
lange Zeit , als wenn diefe Prophezeyung nur so in Wind gebro-
chen wäre: allein die feltfame Art, auf welche NarcilTus das Leben einbüßte und
feine wunderliche Liebe beuatigten deren Wahrheit nur mehr als zu sehr. Die
unglückliche Nymphe Echo war nicht die einige, welche durch die Kaltsinnigkeit
diefes jungen Jägers betrübet wurde, fondern er verachtete alle Schönheiten {einer
Zeit. Eine aber davon verdrofs die thorichte Einbildung von seiner eigenen
Schönheit, dafs sie ihre Hände gen Himmel aushob und ausrufte : „ Ach dafs
„ doch diefer Jungling einmahl fich verliebe und niemahlen zum Belitz des Ge-
„ liebten gelangen könne!" Nemefis vernahm diese nicht unbillige Bitte und lies
selbige auch Statt finden. NarcilTus kam kurz darauf von der Jagd nach Haufe
und gieng zu einem Brunn , um feinen Dürft zu lofehen. Da fezte ihn fein eige-
nes Angeflehte in Verwunderung, welches er unten im Wasser fahe , er verliebte
sich darein , bewunderte die ganze Bildung und fühlete in fich ein verzehrendes
Feuer, welches er felbft angezündet hatte. Wieviel unnütze Küfle druckte er da
nicht auf das WafTer! Wie vielmahl fuhr er nicht mit den Armen hinein, um die-
fes Schatten-Bild zu eihafchen , welches aber allemahl entwiche. Der unfinnige
Menfch! Kennet fich felbft nicht in fo einem unbetrüglichen Spiegel. Und als er
fiehet, dafs er fich felbft betrogen habe, wird er noch närrifcher und hat auch an
fothanen Irrthume Gefallen ! Es kan ihn nichts von dem Brunn wegbrincren , er
vertiefet fich fo fehr ins Anfchauen feiner felbft, dafs er Eflen, Trinken und Schla-
fen darüber vergiftet. Bald liegt er auf dem Bauche im Gräfe ausgeftreckt, und
kan das betrügliche Bildnifs, welches ihn versühret, nicht genug anfehen. Bald
richtet er fich ein wenig auf, redet die umftehenden Bäume an und rufet sie zu
Zeugen feiner Marter an , welche ihm feine Liebes-Raferey verurfachet. Unter
folchen Klagen zerrifs er fein Kleid und zerfchlug feine Bruft jämmerlich. Als er
aber
ANMERKUNGEN.
t. LiRiopE.l Der Fluss Cephjfus (<*) verliebte sich in die Nymphe Liriope , und beschlies sie mit Gewalt, da sie dann den
Narcissus zur Welt brachte.
0) Qvii, Met. 3.
 
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