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Pinder, Wilhelm
Die Pietà — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 29: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.59320#0013
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worden. Eine kleine Alabasterpietä jener Zeit, an-
geblich aus Gengenbach, früher Sammlung Amann-
München, hat die Idee schon völlig klar. Die Blüte-
zeit liegt erst um 1500 (J. Jakob-Nürnberg, Zwickau,
Abb. 15). Die urmonumentale Einheit hat sich gelöst;
dies ist wirklich oft nur noch der Ausschnitt aus einer
größeren Gruppe. Gewiß sind ausgezeichnete Werke
auch dieser Art geschaffen worden, so besonders von
Ligier Richier in Lothringen (Clermont - en-Argonne).
Aber die tiefe Einheit des Gefühls ist nicht mehr da;
eine rührende Episode, keine gewaltige Gebärde. Die
heroische Zeit ist vorbei.
Italien hat die Pieta als Teil schon sehr früh ge-
kannt. Was für Deutschland der Monolog, ist für
Italien der Chor, in der bildenden Kunst wie in der
Dichtung. Die „Meditationes“ des Pseudo-Bonaventura
sehen die Pieta nur als Mittelgruppe einer größeren.
So sieht sie auch Giotto in dem einzigartigen Fresko
der Arena zu Padua. Für die isolierte Pieta fehlt der
Sinn — wo sie in Italien vorkommt, scheint sie nor-
dischen Ursprunges. Sollte es Zufall sein, daß der
Auftrag zu der ersten wirklichen Pieta Italiens von
einem Nordländer kam? Der Kardinal Villiers trug
sie 1497 dem Michelangelo auf, für die französische
Königskapelle (Abb. 17). Gegenüber der Horizontalität
bei Perugino etwa (Abb. 16) ist sie ungeheuer neu, in
der Gesamtgeschichte der Pieta enthüllt sich eine ge-
heimnisvolle Verbindung mit der deutschen Urschöp-
fung. Ist es nicht erstaunlich, wieviel vom ersten
und dritten Typus hier wiederkehrt? Die ergreifende
Formengruppe der rechten Schulter Christi, die Dia-
gonalität der Schmiegung! Die majestätische Fülle des
Plastischen freilich konnte kein Nordländer voraus-
ahnen. Der tiefe Schmerz in tiefer Feierlichkeit gelöst,
in der Gebärde der Maria schon eine leise Wendung
an die „Öffentlichkeit“. Die späte Pieta Rondanini blieb

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