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Pinder, Wilhelm [Bearb.]
Deutsche Burgen und feste Schlösser — Königstein im Taunus [u.a.]: Langewiesche, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.51456#0008
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fertig, die Absicht auf eine gedankenmäßige, d. h. innerlich
rechnerische Regelmäßigkeit der Form. Im Großen wird sie
dann in den gewaltigen klösterlichen „Ritterkasernen" des
Deutschen Ordens durchgeführt, die von bewundernswerter
Klarheit der Anordnung sind, frei nach außen und gesetzlich
streng in sich selbst. Zum allgemeinen Siege aber gelangt
sie erst mit der Renaissance, d. h. in Deutschland da und
dort im sechzehnten Jahrhundert — so im Stuttgarter
Schlosse —, mit voller Entschiedenheit an der Wende zum
siebzehnten, z. B. im Aschaffenburger: geregeltes Viereck mit
geregelter Turmzahl, Beronuug der Ecken und Zusammen-
ziehung der Türme und der Mauern zu einer hingelager-
ten Wachstumseinheit: hier nach französischem Muster. Ein
solcher Bau wirkt zwar zugleich wundervoll malerisch im Auf-
stiege über das Wasser hin, aber seine Form ist nicht not-
wendig darauf berechnet und wäre in der Ebene nicht weni-
ger lebensfähig: sie ist durch den Sieg der Regel von den
Zufälligkeiten des Bodenwuchses befreit.
Sicher ist. daß beide Möglichkeiten zugleich in einer ge-
wissen geschichtlichen Ordnung stehen. Es gibt deutlich einen
Weg von der unregelmäßigen Grupve zum bodenbefreiten
System. Hier landen schließlich auch alle freieren Bildungen,
und erst von hier ans kann die Umwandlung zum festlichen
Schlosse und zum feineren Lusthause angetreten werden.
Und noch etwas Anderes: Die Grundmöglichkeiten der rein
künstlerischen Gestaltung spiegeln in höherer Form die Grund-
möglichkeiten der rein zweckvollen Anlage wieder. Umdeu-
tung oder Befreiung — Höhen-Entwicklung aus dem Ge-
lände oder Abtrennung vom Gelände — Höhenburg oder
Wasserburg. Die technische Absonderung ist auch der künst-
lerischen nahe verwandt und arbeitet ihr vor: die Wasser-
burg erreicht am frühesten die kristallische Gesetzmäßigkeit
in sich, die dann auch gleichsam non oben her dem beweg-
teren Gelände aufgezwungen werden kann.
Die unablässige Verbindung, in der — schmiegsam oder
herrisch — Burg und Schloß von Natur her zum Lande
steht, begründet zu einem Teile die ungeheuere Volkstümlich-
keit des alten Wehrbaues, besonders in Deutschland. Aber
nur zu einem Teile: es treten noch Werte hinzu, die erst
die Art der sväteren Menschen ermöglicht hat, zum Teile
halb, zum Teile gar nicht künstlerischer Natur. Es sind
die Wirkungen der Zeit, zunächst reine Wirkungen auf das
Auge. Verfall und Zerstörung — und gerade diese ist bei
uns so häufig — ziehen das Gebaute, selbst wo es kristallisch
klar gemeint war, und um so mcbr, je inniger es von vorn-
herein sich der Landschaft anschloß, in den Bereich der regel-
losen Naturschönheit hinein Die zerbröckelten Mafien, die
zernagten Linien, die Verdunklung und Berschwärznng der
Farbe und endlich gar das pflanzliche Leben, das die geneig-
ten und geborstenen Körper überauillt, sind lanter Zerstörun-
gen der Architektur, die ihr im „Malerischen" wieder zur
Auferstehuug Helsen. Und endlich darf auf keinen Fall der
(außcrkünstlerische) Eindruck des „Geschichtlichen" vergessen
werden. Es gibt doch wirklich Menschen genug, denen der
Sinn der geschichtlichen Urkunde sogar weit über den künst-
lerischen Reiz der Form geht, die also jedenfalls ein ehr-

liches und lebendiges Gefühl für die Bezeugung vergangenen
Lebens gerade durch den Wehrbau besitzen. Sie teilen es
dem allgemeinen Bewußtsein mit, das es verwandelt, ver-
schleiert, verdunkelt, immer doch aufnimmt: uno schließlich
verliert sich dieses Gefühl vom Wissen um Geschehenes bis in
das Grenzenlose und Ungreifbare der Sagenbildung und der
Volksdichtung hinaus.
Alles in Allem: in dem lebendigen Gesamtwerte der alten
Burgen und festen Schlösser ist das Künstlerische nur selten
vollkommen zur Stelle, und selbst wo es erreicht und nicht
zerstört ist, da ist es doch niemals allein. Eine große Reihe
von Vorstellungen und Gefühlen fließen darin zusammen:
der beredte Ausdruck des ursprünglichen Wehrzweckes, den
wir trotz der ganz veränderten Formen der heutigen Kampfbe-
rechnung noch stark empfinden, der noch zu uralten Kräften
und Erinnerungen in uns den Weg findet: der schöpferische
Gedanke, der den Zweckbau zum Kunstwerke adeln will, ob
er nur die Bewegung des Bodens zu Ende denkt oder ob
er ihr frei entgegenlritt; der weite Zusammenhang der
Landschaft, der auch das selbständigste Bauwerk zuletzt als
sein Rahmen in sich zieht, das ihm verwandte aber, und noch
viel mehr das gesunkene und verfallende geradezu zur Natur
werden läßt, bis es nicht mehr „gemacht", sondern „ge-
wachsen" scheint: und endlich die Fülle ruhmreicher uud
schmerzlicher Erinnerungen, die das geschichtliche Bewußtsein
hinzuträgt, als Wissen wie als Dichtung.
So erscheint zuletzt durch eine ganze Mischung von Ein-
drücken und Gefühlen hindurch und gerade darum, weil es
sich keineswegs allein um Künstlerisches handelt, für jedes
lebendige Gemüt die große zusammengesetzte Einheit, die Alle
empfinden, auch wer kein Bedürfnis hat, sie seinem Ver-
stände klar zu machen: das Lano. Burgen und feste Schlösser
wirken heute als die Wahrzeichen der Länder, ja als die
Sinnbilder der Stämme, unter denen sie errichtet sind.
Von hier aus ist wohl am sichersten die Reihe der hier
folgenden Burgenbilder zu genießen: und weiter als bis
hierher sollen auch diese paar vorbereitenden Sätze nicht ge-
trieben werden. Sie wollen die Aufgabe einer sachlichen Dar-
stellung lieber gar nicht anrühren. Die ganze Menge der ver-
schiedenen Bestimmungen (Kaiservfalzen, Reichsburgen, Für-
sten- und Bischossburgen, Ainrsvogteien, Edelsitze für Ein-
zelne und für Ganerben — die sich zu mehreren darein teilen
müssen — schließlich Ordensschlösser und Kirchenburgen) über-
kreuzt sich mit dem stetigen reichen Wairdel der Stammes-
arten, der auf wenige Wegstunden schon dem Aufmerksamen
fühlbar wird. Die Wanderung der Burgenbilder von den in
Walo und Berg gewachsenen Rirtervesten des Südwestens bis
zu den großartig ernsten Ordensschlössern des Nordostens, die
Kloster und Festung zugleich in strenger Schönheit und
musterhaft klar ausorägen, lehrt das Auge selbst so mühelos
wie denkbar, in schnell zuiammenschießenden Eindrücken, die
ungeheure Vielfältigkeit von Menschen und Boden ahnen:
Deutschland, das alle große Land der Mitte, das den Nor-
den und den Süden, den Osten und den Westen von Europa
nicht nur berührt, sondern tatsächlich selbst in seinem eigenen
unermeßlichen Schoße birgt.
Dinöer

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