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Probst, Hansjörg
Neckarau (Band 1): Von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert — Mannheim, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.3002#0053
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der Damm im Sporwörth bei Neckerau durchgebrochen und das Wasser biß in den
Seckenheimer Wasen an den Brunnen gegangen ist.16

Die größte Katastrophe, die sich bisher in unserer Gegend zugetragen hat, war die
Eis- und Hochwasserkatastrophe des Winters 1784. Diese Naturkatastrophe von
Ende Februar wurde durch einen ganz ungewöhnlichen Verlauf des Winters 1783/84
eingeleitet. Große Kälte mit Vereisung der Flüsse, heftige Schneefälle und plötzli-
ches Tauwetter mit starken Regengüssen wechselten dreimal, und zwar Anfang De-
zember bis Weihnachten, Neujahr bis Mitte Januar und Anfang bis Mitte Februar
ab. Die Warmlufteinbrüche, die jeweils starkes Tauwetter auslösten, ließen die
Flüsse zwar gewaltig anschwellen, dauerten aber nie so lange, daß die Eismassen
endgültig hätten abgetaut und weggeschwemmt werden können. So hatten sich
schon Anfang Januar vor Ladenburg ein gewaltiges Bollwerk aus Eisschollen, Bal-
ken, „Holländer Bäumen" (Schwarzwaldtannen, die nach Holland verflößt wurden)
und Schneemassen gebildet, das den Neckar nach Südwesten ablenken sollte; eine
ähnliche bis 12 m hohe Eisbarriere hatte das Flußbett bei Feudenheim verstopft.
Überhaupt glichen der Flußlaufund das Vorland des Rheines und des Neckars einer
wilden Polarlandschaft aus getauten, übereinandergeschobenen und wieder zusam-
mengefrorenen Eisschollen, Balken und Stämmen, die in den dazwischenliegenden
Tauwetterperioden vom Oberlauf mitgerissen und abgelagert worden waren. Dar-
über hinaus war das ganze Land noch Mitte Februar mit einer mehr als einen Meter
hohen Neuschneedecke überzogen worden.

Vom 16. Februar an begann das Tauwetter am Mittel- und Oberlauf des Neckars,
wodurch schon große Wassermassen auf den noch zugefrorenen Unterlauf zuka-
men. Am 22. Februar gab es einen raschen Wetterumschlag in unserer Gegend. Die
anschwellenden Wasser des Flusses, von allen Seiten zusätzlich gespeist, drängten
sich durch Heidelberg in die Ebene; das neu ankommende Eis traf auf das aufbre-
chende alte, schob sich immer mehr ineinander und prallte sehr bald auf die beiden
Hauptbarrieren vor Ladenburg und Feudenheim, um diese fürs erste noch zu ver-
stärken.

Donnerstag, den 26. 2. 1784, gegen drei Uhr nachmittags brach das Unheil los. Der
wilde Neckar, von Ladenburg abgedrängt, durchbrach die zu schwachen Neckar-
häuser Deiche und verwüstete das schlecht geschützte Dorf völlig. Gegen vier Uhr
wurden dort in nicht zwölf Minuten 35 Wohnhäuser und 25 Scheunen bis auf die
Grundmauern eingerissen, wobei die schwimmenden Eisberge und Tannenstämme
wie Rammböcke wirkten. In der katholischen Kirche, die am höchsten Platz des Or-
tes war, stand das Wasser über zwei Meter hoch. In Neckarhausen ertranken insge-
samt 13 Einwohner und an die 150 Stück Vieh, größtenteils im Ort selbst, z. T. aber
auch irgendwo unterhalb, nachdem sie noch stundenlang auf den Eisschollen oder
Stämmen umhergetrieben worden waren. Ein Teil des Hochwassers ergoß sich
nördlich von Ilvesheim über die Fluren und erfüllte das Feld bis Heddesheim und
Feudenheim, der Hauptstrom jedoch brach über Neckarhausen in Höhe der alten
Speyererstraße und des Oberndorff sehen Gartens quer über das Feld auf Secken-
heim los, erreichte aber zum Glück für Seckenheim oberhalb der Neckarmauer am
Schloßgarten sein altes Bett, um unterhalb des Dorfes die Deiche und die Mannhei-
mer Chaussee zu durchbrechen und seinen alten Weg auf Neckarau zu nehmen. Der
Neckar überschwemmte die gesamte Neckarauer Gemarkung und das Dorf Necka-
rau. Keine Gasse und kein Haus blieben verschont. Die Bewohner flüchteten sich
auf die Dächer, auf das Kirchendach und auf den Kirchturm. Zwei Tage, vom 26. bis
zum 28. Februar tobten die Elemente, bis endlich am 29. Februar das Wasser plötz-
lich um 3 m fiel und eine Schlammwüste und ein Trümmerfeld hinterließ. Überall la-
gen Balken und Trümmer von Häusern, Hausrat aus den oberen Neckargemeinden
und vor allem zahllose ertrunkene Schafe, Schweine und Rinder mit aufgeblähten

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