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IV. Hinkmar von Reims über seine Amtsbrüder
Reims kam noch die Anklage des Königs, der Rothad als Rebell gegen die kö-
nigliche Gewalt ansah. Rothad floh wie erwähnt von der Versammlung von
Pitres und appellierte noch vor Eröffnung des Verfahrens an den apostolischen
Stuhl, und Papst Nikolaus I. nahm sich des Falls an. Rothad verfügte auch über
eine Anhängerschaft unter Mitbischöfen, die ihm zur Seite stand. Papst Nikolaus
I. hatte auch an Karl den Kahlen geschrieben mit der Aufforderung, Rothad nach
Rom zu schicken295. Auf der Synode und Reichsversammlung von Verberie
wurde schließlich am 25. Oktober 863 das Appellationsrecht Rothads aner-
kannt296. Karl der Kahle sandte den aus der Haft entlassenen Rothad mitsamt den
Briefen den Fall betreffend sowie den Stellvertretern seiner Bischöfe nach Rom297.
Auf einer Synode in Rom im Dezember 864 wurde Rothads Fall schließlich
verhandelt. Nikolaus I. kassierte das Absetzungsurteil und auf seinen Befehl hin
wurde Rothad restituiert. Er übte sein Amt erneut von 865 bis zu seinem Tod 869
aus.
Die Absetzung Rothads ist in der Literatur bisher vor allem in Hinblick auf den
Einsatz von Pseudo-lsidor in dem Konflikt betrachtet worden, da Rothad als
Vermittler der pseudo-isidorischen Gedanken aus dem Westfrankenreich nach
Rom gilt298. Der Absetzungsfall Rothads ist der erste, in dem Papst Nikolaus I.
auf pseudo-isidorisches Gedankengut in seiner Argumentation zurückgriff. In
kurz zuvor laufenden Absetzungsverfahren hatte derselbe Papst noch keine
Verwendung des Gedankenguts gezeigt und spätantike Kanones noch hin-
sichtlich der Zuständigkeit von Provinzialsynoden ausgelegt299.
Der pseudo-isidorische Fälschungskomplex zielte vor allem auf den Schutz
der Bischöfe vor ihren Metropoliten und ist nach neuesten Forschungen ver-
mutlich auf die Zeit um 833 zu datieren300. Doch der Fall Rothads ist der erste
bekannte Konflikt, in dem die pseudo-isidorischen Fälschungen und die darin
enthaltenen Rechtsvorstellungen konkrete Anwendung fanden. Rothad be-
diente sich dieses Gedankenguts, um sich gegen seine Absetzung zur Wehr zu
setzen und eine Appellation nach Rom und eine päpstliche Prüfung des Ver-
fahrens durchzusetzen. Ihm kam dabei ohne Zweifel das päpstliche Amts- und
Selbstverständnis Nikolaus I. zugute, der sich auf das päpstliche Jurisdiktions-
recht berief und von einem rechtlichen Vorrang päpstlicher Entscheidungen
gegenüber bischöflichen Beschlüssen ausging301.
295 MGH Epp. 6, Nr. 58, S. 362.
296 MGH Cone. IV, S. 164-168; vgl. Hartmann, Synoden, S. 315f.
297 Vgl. den Bericht in den Annales Bertiniani, ad. a. 863, ed. Grat, S. 103.
298 Fuhrmann, Einfluß II, S. 254 mit Anm. 44.
299 So beim Verfahren gegen den geisteskranken Bischof Hermann von Nevers, vgl. Fuhrmann,
Einfluß II, S. 248 f; zu Hermann vgl. Duchesne, Fastes episcopaux 2, S. 485 Nr. 11 mit Vermerk
seines Todestages. Zur Absetzung eines bretonischen Bischofs, die Nikolaus I. auch in Zustän-
digkeit einer Provinzialsynode sah s. unten.
300 Vgl. Patzold, Überlegungen (s. oben bei Anm. 142).
301 Zum Selbstverständnis Nikolaus I. vgl. Scholz, Politik, S. 185-211.
IV. Hinkmar von Reims über seine Amtsbrüder
Reims kam noch die Anklage des Königs, der Rothad als Rebell gegen die kö-
nigliche Gewalt ansah. Rothad floh wie erwähnt von der Versammlung von
Pitres und appellierte noch vor Eröffnung des Verfahrens an den apostolischen
Stuhl, und Papst Nikolaus I. nahm sich des Falls an. Rothad verfügte auch über
eine Anhängerschaft unter Mitbischöfen, die ihm zur Seite stand. Papst Nikolaus
I. hatte auch an Karl den Kahlen geschrieben mit der Aufforderung, Rothad nach
Rom zu schicken295. Auf der Synode und Reichsversammlung von Verberie
wurde schließlich am 25. Oktober 863 das Appellationsrecht Rothads aner-
kannt296. Karl der Kahle sandte den aus der Haft entlassenen Rothad mitsamt den
Briefen den Fall betreffend sowie den Stellvertretern seiner Bischöfe nach Rom297.
Auf einer Synode in Rom im Dezember 864 wurde Rothads Fall schließlich
verhandelt. Nikolaus I. kassierte das Absetzungsurteil und auf seinen Befehl hin
wurde Rothad restituiert. Er übte sein Amt erneut von 865 bis zu seinem Tod 869
aus.
Die Absetzung Rothads ist in der Literatur bisher vor allem in Hinblick auf den
Einsatz von Pseudo-lsidor in dem Konflikt betrachtet worden, da Rothad als
Vermittler der pseudo-isidorischen Gedanken aus dem Westfrankenreich nach
Rom gilt298. Der Absetzungsfall Rothads ist der erste, in dem Papst Nikolaus I.
auf pseudo-isidorisches Gedankengut in seiner Argumentation zurückgriff. In
kurz zuvor laufenden Absetzungsverfahren hatte derselbe Papst noch keine
Verwendung des Gedankenguts gezeigt und spätantike Kanones noch hin-
sichtlich der Zuständigkeit von Provinzialsynoden ausgelegt299.
Der pseudo-isidorische Fälschungskomplex zielte vor allem auf den Schutz
der Bischöfe vor ihren Metropoliten und ist nach neuesten Forschungen ver-
mutlich auf die Zeit um 833 zu datieren300. Doch der Fall Rothads ist der erste
bekannte Konflikt, in dem die pseudo-isidorischen Fälschungen und die darin
enthaltenen Rechtsvorstellungen konkrete Anwendung fanden. Rothad be-
diente sich dieses Gedankenguts, um sich gegen seine Absetzung zur Wehr zu
setzen und eine Appellation nach Rom und eine päpstliche Prüfung des Ver-
fahrens durchzusetzen. Ihm kam dabei ohne Zweifel das päpstliche Amts- und
Selbstverständnis Nikolaus I. zugute, der sich auf das päpstliche Jurisdiktions-
recht berief und von einem rechtlichen Vorrang päpstlicher Entscheidungen
gegenüber bischöflichen Beschlüssen ausging301.
295 MGH Epp. 6, Nr. 58, S. 362.
296 MGH Cone. IV, S. 164-168; vgl. Hartmann, Synoden, S. 315f.
297 Vgl. den Bericht in den Annales Bertiniani, ad. a. 863, ed. Grat, S. 103.
298 Fuhrmann, Einfluß II, S. 254 mit Anm. 44.
299 So beim Verfahren gegen den geisteskranken Bischof Hermann von Nevers, vgl. Fuhrmann,
Einfluß II, S. 248 f; zu Hermann vgl. Duchesne, Fastes episcopaux 2, S. 485 Nr. 11 mit Vermerk
seines Todestages. Zur Absetzung eines bretonischen Bischofs, die Nikolaus I. auch in Zustän-
digkeit einer Provinzialsynode sah s. unten.
300 Vgl. Patzold, Überlegungen (s. oben bei Anm. 142).
301 Zum Selbstverständnis Nikolaus I. vgl. Scholz, Politik, S. 185-211.