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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0159
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158 V. Bischofsabsetzung durch den Papst: Gunthar von Köln und Thietgaud von Trier 863

hatte Gunthar nachweislich einen Brief an Hinkmar, der einen großen Namen in
den damaligen Frankenreichen hatte, in seine Schrift eingefügt644. Gerade Gun-
thar und Thietgaud waren bisher weniger als Freunde, denn als Gegner Hink-
mars aufgetreten. Bereits in seinem Rechtsgutachten über die Scheidung Lothars
II. kritisierte Hinkmar das Vorgehen der Bischöfe gegen Theutberga auf den
Synoden 860 und 862645.
Die Unterstützung in Köln bedurfte wohl keines Wirkens Hinkmars. Nicht
ausgeschlossen werden kann jedoch, dass Gunthar erneut an die bischöfliche
Solidarität appellierte und/oder den Brief an Hinkmar als Teil seiner „Informa-
tionspolitik" einsetzte, vielleicht als Signal an die eigenen Anhänger, um zu
suggerieren, dass Hinkmar das Ersuchen auf Restitution unterstützte646. Der
Kölner Klerus hat seinen abgesetzten Bischof Gunthar eine Zeitlang noch treu
unterstützt. Für diese Unterstützung bedurfte es nicht zwangsläufig das Wirken
Hinkmars von Reims — höchstens vielleicht nur die Illusion des Wirkens bzw. der
Verweis auf die Möglichkeit. Diese These hat als erster Nikolaus Staubach for-
muliert, der den Brief Gunthars an Hinkmar als Propagandafinte interpretiert,
als Signal an die eigene Anhängerschaft, dass selbst der große Hinkmar von
Reims an eine Wiedereinsetzung Gunthars glaubt647. Gunthars Anhängerschaft
war nicht klein, aber die kritische politische Situation des Lotharreichs ver-
schärfte die Bedrohung, durch Gegenkandidaten Karls oder Ludwigs des
Deutschen ersetzt zu werden, was letztlich ja auch geschah. Aber seine Bezie-
hungsnetze waren nicht plötzlich mit der Absetzung 863 zerbrochen. Ebenso
wenig kann das erst später in der Historiorgaphie entworfene negative Bild auf
die Regierungszeit Gunthars und die Zeit unmittelbar nach der Absetzung
rückprojiziert werden648. Bezeichnenderweise haben wir es jedoch nicht mit
breiter Solidarität in der Gruppe der Bischöfe zu tun, sondern mit lokalen und
regionalen Netzwerken rund um die civitas Köln sowie mit bereits etablierten
Aktionsgemeinschaften.

644 Dies lässt Georgi in seiner Untersuchung unberücksichtigt. Er schlägt eine rein politikge-
schichtliche Deutung vor und sieht das Urteil Nikolaus I. im Sinne Karls des Kahlen und
Hinkmars von Reims, da die Eheaffäre Lothars II. zum Ende des Mittelreichs führte. Eine Ver-
mischung der verschiedenen Ebenen und Gleichsetzung der Sache Karls mit derjenigen Hink-
mars verschleiert aber den Blick.

645 Vgl. Firey, Heart, bes. S. 37-60.

646 So bereits Staubach, Sedulius Scottus, S. 566-569. Ziemann, Dom-Handschrift, S. 104 f. folgt den
Thesen Staubachs. Allerding sind Aussagen Ziemanns unzutreffend, es habe keinen Gegenkan-
didaten auf dem Bischofsstuhl bis zu Gunthars Tod gegeben, s. o.

647 Vgl. Staubach, Sedulius Scottus, S. 568.

648 Sedulius Scottus etwa entwirft mit seinen Gedichten ein ganz anderes Bild Gunthars, als wir es
aus der Historiographie kennen: „Der durch seine Verstrickung in den Ehestreit Lothars II.
unrühmlich bekannt gewordene Kölner Metropolit erscheint in den Carmina des Sedulius in
einem ganz anderen Licht: als Musenfreund und Dichter, der die Kunst des irischen Poeten zu
schätzen weiß, der ihn großzügig fördert und es auch nicht verschmäht, sich mit ihm in edlem
lyrischen Wettstreit auszutauschen und zu messen" (Staubach, Sedulius Scottus, S. 555). Die
Datierung dieser Zeugnisse einer engen und herzlichen Verbundenheit bereitet einige Probleme,
aber es ist nicht zwangsläufig davon auszugehen, dass sie vor der Absetzung Gunthars ent-
standen sind und danach der Kontakt abbrach.
 
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