6. Bewertung der Absetzung in der Historiographie: gefährliche Nähe zum König?
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Zusammenfassend lässt sich zur Vorgehensweise Gunthars sagen, dass er
nach Pavia 865 auf die Argumentation als reuiger Sünder setzte. Doch war nicht
der Papst Hauptadressat der Exzerptsammlung, sondern vielmehr die fränki-
schen bischöflichen Mitbrüder und der Kölner Klerus. Gunthar griff weiterhin
auf ihm geläufiges Repertoire zurück. Er wählte jedenfalls genau den Wissens-
bestand aus, in dem sich die meisten seiner Amtsbrüder gut auskannten und
argumentierte auf Basis der Buß-Normen: bußfertige Sünder haben ein Anrecht
auf Rekonziliation, ebenso wie Ebo blieb er damit erfolglos, obwohl in seinem
Falle die Synodalen von Pavia seine öffentliche Zerknirschung und sein
Schuldbekenntnis unter vielen Tränen bezeugten649. In Köln konnte Gunthar sich
noch Jahre nach der Absetzung durch den Papst halten. Das negative Bild, das
von ihm in der Historiographie, vor allem den Annales Xantenses, gezeichnet
wird, beruht auf den Intentionen der Autoren, seine Absetzung rückwirkend als
endgültig und berechtigt und die Erhebung eines Nachfolgers als legitim dar-
zustellen.
Aus den historiographischen Nachrichten lässt sich jedoch nicht nur dieses
negative Bild, das vor allem auf persönlicher Diskreditierung beruhte, erschlie-
ßen650. Die Autoren bewerten auch das Absetzungsverfahren und nennen
Gründe für das Scheitern der beiden Erzbischöfe Gunthar und Thietgaud, die für
die zeitgenössische Wahrnehmung des Falles wichtige Rückschlüsse zulassen.
6. Bewertung der Absetzung in der Historiographie:
gefährliche Nähe zum König?
Dem zeitgenössisch schreibenden Fuldaer Annalisten fiel die Bewertung der
Absetzung 863 sichtlich schwer651. Er ließ die päpstliche Interpretation der
Synode von Rom neben der erzbischöflichen Sicht stehen und trug beides zum
Jahr 863 ein652. Der Annalist von Fulda vermeidet zur Absetzung Gunthars und
Thietgauds, dass Nikolaus I. die Synode von Metz verflucht und die beiden
Bischöfe abgesetzt und exkommuniziert habe. Gerecht und kanonisch, wie seine
Schriften bezeugen würden; ungerecht, wie jene durch Gegenschriften zu be-
weisen versuchten. Der Autor verweist weiter darauf, dass jeder, der wissen will,
649 MGH Cone. IV, S. 190 f; vgl. auch Ziemann, Dom-Handschrift 117, S. 99.
650 Vgl. die ausführliche Analyse des Bischofsbildes in der Annalistik bei Patzold, Epsicopus, S. 361-
411. Vgl. auch ebd. S. 411 zu unterschiedlich akzentuierten Bischofsbildern in verschiedenen
Textgattungen.
651 Die Annales Fuldenses, die Liutbert ab 870 zusammenstellen ließ, erweisen sich als ein „stark
durch die Interessen eines einzelnen Bischofs geprägter Text", Patzold, Episcopus, S. 387.
652 Im Gegensatz dazu ordnete Hinkmar von Reims in den Annalen die päpstliche Interpretation
dem Jahr 863 zu, den erzbischöflichen Protest jedoch dem Jahr 864. Vgl. Buc, Text and Ritual,
S.128.
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Zusammenfassend lässt sich zur Vorgehensweise Gunthars sagen, dass er
nach Pavia 865 auf die Argumentation als reuiger Sünder setzte. Doch war nicht
der Papst Hauptadressat der Exzerptsammlung, sondern vielmehr die fränki-
schen bischöflichen Mitbrüder und der Kölner Klerus. Gunthar griff weiterhin
auf ihm geläufiges Repertoire zurück. Er wählte jedenfalls genau den Wissens-
bestand aus, in dem sich die meisten seiner Amtsbrüder gut auskannten und
argumentierte auf Basis der Buß-Normen: bußfertige Sünder haben ein Anrecht
auf Rekonziliation, ebenso wie Ebo blieb er damit erfolglos, obwohl in seinem
Falle die Synodalen von Pavia seine öffentliche Zerknirschung und sein
Schuldbekenntnis unter vielen Tränen bezeugten649. In Köln konnte Gunthar sich
noch Jahre nach der Absetzung durch den Papst halten. Das negative Bild, das
von ihm in der Historiographie, vor allem den Annales Xantenses, gezeichnet
wird, beruht auf den Intentionen der Autoren, seine Absetzung rückwirkend als
endgültig und berechtigt und die Erhebung eines Nachfolgers als legitim dar-
zustellen.
Aus den historiographischen Nachrichten lässt sich jedoch nicht nur dieses
negative Bild, das vor allem auf persönlicher Diskreditierung beruhte, erschlie-
ßen650. Die Autoren bewerten auch das Absetzungsverfahren und nennen
Gründe für das Scheitern der beiden Erzbischöfe Gunthar und Thietgaud, die für
die zeitgenössische Wahrnehmung des Falles wichtige Rückschlüsse zulassen.
6. Bewertung der Absetzung in der Historiographie:
gefährliche Nähe zum König?
Dem zeitgenössisch schreibenden Fuldaer Annalisten fiel die Bewertung der
Absetzung 863 sichtlich schwer651. Er ließ die päpstliche Interpretation der
Synode von Rom neben der erzbischöflichen Sicht stehen und trug beides zum
Jahr 863 ein652. Der Annalist von Fulda vermeidet zur Absetzung Gunthars und
Thietgauds, dass Nikolaus I. die Synode von Metz verflucht und die beiden
Bischöfe abgesetzt und exkommuniziert habe. Gerecht und kanonisch, wie seine
Schriften bezeugen würden; ungerecht, wie jene durch Gegenschriften zu be-
weisen versuchten. Der Autor verweist weiter darauf, dass jeder, der wissen will,
649 MGH Cone. IV, S. 190 f; vgl. auch Ziemann, Dom-Handschrift 117, S. 99.
650 Vgl. die ausführliche Analyse des Bischofsbildes in der Annalistik bei Patzold, Epsicopus, S. 361-
411. Vgl. auch ebd. S. 411 zu unterschiedlich akzentuierten Bischofsbildern in verschiedenen
Textgattungen.
651 Die Annales Fuldenses, die Liutbert ab 870 zusammenstellen ließ, erweisen sich als ein „stark
durch die Interessen eines einzelnen Bischofs geprägter Text", Patzold, Episcopus, S. 387.
652 Im Gegensatz dazu ordnete Hinkmar von Reims in den Annalen die päpstliche Interpretation
dem Jahr 863 zu, den erzbischöflichen Protest jedoch dem Jahr 864. Vgl. Buc, Text and Ritual,
S.128.