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2. Inzest und Ehe
auch in verschiedenen Schreiben der Päpste. Hinzu kommen auf päpstlicher
Seite zwei Konzilien in Rom 721 und 743, die sich der Inzestbekämpfung an-
nahmen. Ebenfalls zu nennen sind die sogenannten Responsa Stephani II.6
Weiterhin spielen Dokumente eine Rolle, die zwar noch dem 7. Jahrhundert
entstammen, aber erst durch ihre Rezeption im 8. Jahrhundert größeren Einfluss
auf die Inzestdiskussionen nehmen konnten. Dies gilt beispielsweise für den
Libellus responsionum Gregors des Großen, dessen Bestimmungen zum Inzest
bereits im 8. Jahrhundert umstritten waren, und insbesondere für die byzanti-
nische Synode in Trullo (691/92).
In den Kapitularien Pippins taucht das Thema Inzest zum ersten Mal im
Kapitular von Soissons 744 auf, als die Ehe mit Gott geweihten Frauen und mit
Verwandten (parentes) verboten wird.7 Die Pauschalität des sehr weiten Begriffes
parentes8 und die damit verbundene mangelnde Differenzierung, welche Kon-
stellationen verboten sein sollen und welche nicht, zeigt ebenso wie das Nicht-
ansprechen von Konsequenzen und Sanktionen, mit denen bereits geschlossene
inzestuöse Verbindungen geahndet werden sollten, dass das Thema in Soissons
noch nicht den Stellenwert hatte, den es nach dem Dynastiewechsel erreichen
sollte. In diesem Sinne können die ersten drei Kapitel des Königskapitulars in der
Tat als eigentlicher Auftakt von Pippins Inzestbekämpfung verstanden werden,
die ihren Höhepunkt einige Jahre danach auf den Konzilien von Verberie 756 und
Compiegne 757 erreichen sollte.
Eine allgemeine Bestimmung, bis zu welchem Verwandtschaftsgrad eheliche
Verbindungen verboten sein sollen, findet sich im Königskapitular nicht.9 Viel-
mehr werden allein konkrete Konstellationen verboten. Nach der Edition von
Boretius sind Verbindungen mit folgenden zwölf Arten von Frauen verboten10:
6 Die Responsa Stephani II. spielen auch für die Datierung des Königskapitulars eine wichtige
Rolle. Vgl. oben Kap. 1.3.3.
7 Pippini principis capitulare Suessionense c. 9, in: MGH Capit. 1, Nr. 12, S. 30 Z. 8-11: Similiter
constituemus, utnullus laicus homo Deo sacratafemina ad mulierem non habeat, nee suam parentem; nee
marito viventem sua mutier alius non accipiat, nee mulier vivente suo viro atium accipiat; quia maritus
mutiere sua non debet dimittere, excepto causa fornicationis deprehensa. Auf dem Concilium Ger-
manicum wurde das Thema nicht behandelt, auf der Teilreichssynode in Les Estinnes in Karl-
manns Reichshälfte wurde Inzest nur am Rande erwähnt. Karlmanni principis capitulare Lip-
tinense c. 3, in: MGH Capit. 1, Nr. 11, S. 28 Z. 18-20: Similiter praecipimus, utiuxta decreta canonum
adulteria et incesta matrimonia, quae non sint legitima, prohibeantur et emendentur episcoporum iudicio;
et ut mancipia christiana paganis non traduntur.
8 Vgl. Niermeyer — van de Kieft — Bürger, Lexicon, Bd. 2, S. 994. Das Wort parens im engeren Sinne
kann natürlich auch einen leiblichen Elternteil, hier die Mutter meinen. Doch wäre es dann
verwunderlich, warum nicht das eindeutige mater verwendet worden sein sollte, wenn hier
tatsächlich nur das Verbot der Ehe mit der eigenen Mutter ausgesprochen werden sollte.
9 Zu den unterschiedlichen Zählungen der Verwandtschaft ausführlich Ubl, Inzestverbot, S. 14-
27.
10 Pippini regis capitulare c. 1, in: MGH Capit. 1, Nr. 13, S. 31 Z. 18-22: De incestis. Si homo incestum
commiserit de istis causis, de Deo sacrata, aut commatre sua, aut cum matrina sua spiritali de fonte et
confirmatione episcopi, aut cum matre et filia, aut cum duabus sororibus, aut cum fratris filia aut sororis
filia, aut nepta, aut cum consobrina atque subrina, aut cum amita vel matertera: [...].
2. Inzest und Ehe
auch in verschiedenen Schreiben der Päpste. Hinzu kommen auf päpstlicher
Seite zwei Konzilien in Rom 721 und 743, die sich der Inzestbekämpfung an-
nahmen. Ebenfalls zu nennen sind die sogenannten Responsa Stephani II.6
Weiterhin spielen Dokumente eine Rolle, die zwar noch dem 7. Jahrhundert
entstammen, aber erst durch ihre Rezeption im 8. Jahrhundert größeren Einfluss
auf die Inzestdiskussionen nehmen konnten. Dies gilt beispielsweise für den
Libellus responsionum Gregors des Großen, dessen Bestimmungen zum Inzest
bereits im 8. Jahrhundert umstritten waren, und insbesondere für die byzanti-
nische Synode in Trullo (691/92).
In den Kapitularien Pippins taucht das Thema Inzest zum ersten Mal im
Kapitular von Soissons 744 auf, als die Ehe mit Gott geweihten Frauen und mit
Verwandten (parentes) verboten wird.7 Die Pauschalität des sehr weiten Begriffes
parentes8 und die damit verbundene mangelnde Differenzierung, welche Kon-
stellationen verboten sein sollen und welche nicht, zeigt ebenso wie das Nicht-
ansprechen von Konsequenzen und Sanktionen, mit denen bereits geschlossene
inzestuöse Verbindungen geahndet werden sollten, dass das Thema in Soissons
noch nicht den Stellenwert hatte, den es nach dem Dynastiewechsel erreichen
sollte. In diesem Sinne können die ersten drei Kapitel des Königskapitulars in der
Tat als eigentlicher Auftakt von Pippins Inzestbekämpfung verstanden werden,
die ihren Höhepunkt einige Jahre danach auf den Konzilien von Verberie 756 und
Compiegne 757 erreichen sollte.
Eine allgemeine Bestimmung, bis zu welchem Verwandtschaftsgrad eheliche
Verbindungen verboten sein sollen, findet sich im Königskapitular nicht.9 Viel-
mehr werden allein konkrete Konstellationen verboten. Nach der Edition von
Boretius sind Verbindungen mit folgenden zwölf Arten von Frauen verboten10:
6 Die Responsa Stephani II. spielen auch für die Datierung des Königskapitulars eine wichtige
Rolle. Vgl. oben Kap. 1.3.3.
7 Pippini principis capitulare Suessionense c. 9, in: MGH Capit. 1, Nr. 12, S. 30 Z. 8-11: Similiter
constituemus, utnullus laicus homo Deo sacratafemina ad mulierem non habeat, nee suam parentem; nee
marito viventem sua mutier alius non accipiat, nee mulier vivente suo viro atium accipiat; quia maritus
mutiere sua non debet dimittere, excepto causa fornicationis deprehensa. Auf dem Concilium Ger-
manicum wurde das Thema nicht behandelt, auf der Teilreichssynode in Les Estinnes in Karl-
manns Reichshälfte wurde Inzest nur am Rande erwähnt. Karlmanni principis capitulare Lip-
tinense c. 3, in: MGH Capit. 1, Nr. 11, S. 28 Z. 18-20: Similiter praecipimus, utiuxta decreta canonum
adulteria et incesta matrimonia, quae non sint legitima, prohibeantur et emendentur episcoporum iudicio;
et ut mancipia christiana paganis non traduntur.
8 Vgl. Niermeyer — van de Kieft — Bürger, Lexicon, Bd. 2, S. 994. Das Wort parens im engeren Sinne
kann natürlich auch einen leiblichen Elternteil, hier die Mutter meinen. Doch wäre es dann
verwunderlich, warum nicht das eindeutige mater verwendet worden sein sollte, wenn hier
tatsächlich nur das Verbot der Ehe mit der eigenen Mutter ausgesprochen werden sollte.
9 Zu den unterschiedlichen Zählungen der Verwandtschaft ausführlich Ubl, Inzestverbot, S. 14-
27.
10 Pippini regis capitulare c. 1, in: MGH Capit. 1, Nr. 13, S. 31 Z. 18-22: De incestis. Si homo incestum
commiserit de istis causis, de Deo sacrata, aut commatre sua, aut cum matrina sua spiritali de fonte et
confirmatione episcopi, aut cum matre et filia, aut cum duabus sororibus, aut cum fratris filia aut sororis
filia, aut nepta, aut cum consobrina atque subrina, aut cum amita vel matertera: [...].