12 LOB DES AUGES.
das aus mehreren Gründen. Der erste ist, dass mit Hilfe des
Gesichts die Speise aufgefunden wird, mit der sich das Thier
nähren muss, und die ist für Alle Nothwendigkeit; und zweitens
versteht man durch das Gesicht das Schöne der geschaffenen
Dinge, sonderlich derer, die zur Liebe führen; von dieser kann
ein Blindgeborner durch sein Gehör nie Verständniss bekommen,
denn er wird nie inne, was Schönheit irgend einer Sache sei.
Ihm bleibt das Hören, vermöge dessen er nur die menschlichen
Laute und das Sprechen versteht, in dem die Namen aller
Dinge enthalten sind, d. h. derer, die einen Namen bekamen.
Man kann aber sehr wohl vergnügt leben, ohne diese Namen
zu wissen, das sieht man an den Taubgebornen, d. h. den
Stummen, die durch's Zeichnen, an dem sich die meisten von
ihnen ergötzen, (die Worte ersetzen).
Und wirst du sagen, das Sehen störe die festgerichtete
und subtile geistige Erkenntniss, durch die man in die gött-
lichen Wissenschaften ^ eindringt, und dass diese Störung
einen Philosophen dazu brachte, sich des Gesichts zu berauben,
so lautet die Antwort hierauf, dass dies Auge als Oberherr der
Sinne seine Schuldigkeit thut, wenn es unklaren und lügen-
haften, nicht Wissenschaften, sondern Redensarten 2) Hinderniss
bereitet, mit denen man unter unaufhörlichem Schreien und
Handfechten hin und wieder streitet; und das Gehör sollte
eigentlich das Gleiche thun, denn es ist der mehr beleidigte
Theil, weil es nach dem Einklang verlangt, in den sich alle
Sinne mischen. Riss sich jener Philosoph die Augen aus,
um das Hinderniss seiner Discurse aus dem Weg zu räumen,
so denke du nur, dass solche That zum Hirn und den Dis-
cursen trefflich passte, denn es war alles zusammen Narrheit.
Konnte er denn nicht, sobald er sich in solche Raserei hinein-
begab, die Augen schliessen und sie so lange geschlossen halten,
bis der Wuthanfall sich in sich selbst verzehrt hatte? Aber
närrisch war der Mann, und verrückt der Diseurs, und sehr
thöricht war es, sich die Augen auszureissen.
Nr. i5, a. 15 a.
Wer ist derjenige, der nicht eher Gehör, Geruch und Tast-
sinn verlieren möchte, als das Gesicht? Denn wer das Gesicht
verliert, ist wie ein aus der Welt Ausgetriebener, denn er sieht
das aus mehreren Gründen. Der erste ist, dass mit Hilfe des
Gesichts die Speise aufgefunden wird, mit der sich das Thier
nähren muss, und die ist für Alle Nothwendigkeit; und zweitens
versteht man durch das Gesicht das Schöne der geschaffenen
Dinge, sonderlich derer, die zur Liebe führen; von dieser kann
ein Blindgeborner durch sein Gehör nie Verständniss bekommen,
denn er wird nie inne, was Schönheit irgend einer Sache sei.
Ihm bleibt das Hören, vermöge dessen er nur die menschlichen
Laute und das Sprechen versteht, in dem die Namen aller
Dinge enthalten sind, d. h. derer, die einen Namen bekamen.
Man kann aber sehr wohl vergnügt leben, ohne diese Namen
zu wissen, das sieht man an den Taubgebornen, d. h. den
Stummen, die durch's Zeichnen, an dem sich die meisten von
ihnen ergötzen, (die Worte ersetzen).
Und wirst du sagen, das Sehen störe die festgerichtete
und subtile geistige Erkenntniss, durch die man in die gött-
lichen Wissenschaften ^ eindringt, und dass diese Störung
einen Philosophen dazu brachte, sich des Gesichts zu berauben,
so lautet die Antwort hierauf, dass dies Auge als Oberherr der
Sinne seine Schuldigkeit thut, wenn es unklaren und lügen-
haften, nicht Wissenschaften, sondern Redensarten 2) Hinderniss
bereitet, mit denen man unter unaufhörlichem Schreien und
Handfechten hin und wieder streitet; und das Gehör sollte
eigentlich das Gleiche thun, denn es ist der mehr beleidigte
Theil, weil es nach dem Einklang verlangt, in den sich alle
Sinne mischen. Riss sich jener Philosoph die Augen aus,
um das Hinderniss seiner Discurse aus dem Weg zu räumen,
so denke du nur, dass solche That zum Hirn und den Dis-
cursen trefflich passte, denn es war alles zusammen Narrheit.
Konnte er denn nicht, sobald er sich in solche Raserei hinein-
begab, die Augen schliessen und sie so lange geschlossen halten,
bis der Wuthanfall sich in sich selbst verzehrt hatte? Aber
närrisch war der Mann, und verrückt der Diseurs, und sehr
thöricht war es, sich die Augen auszureissen.
Nr. i5, a. 15 a.
Wer ist derjenige, der nicht eher Gehör, Geruch und Tast-
sinn verlieren möchte, als das Gesicht? Denn wer das Gesicht
verliert, ist wie ein aus der Welt Ausgetriebener, denn er sieht