ERINNERUNGEN AN ERNST MATTHES
Ich lernte ihn in Paris kennen. Er gehörte zu dem Kreis der
jungen westdeutschen Maler, die damals mit Tewes, Wiegeis und Otto
von Waetjen den Montmartre bewohnten, das mondaine Pariser Leben
bevorzugten und höchst selten in das allzu bürgerliche Cafe du Dome
hinunter kamen.
Ich lernte Matthes schätzen und lieben durch sein Schweigen.
Er war ernst und verschlossen und unterschied sich dadurch vom
Pariser Milieu. Etwas Schwermütiges, Contemplatives war in sein
Gesicht geschnitten, die hellen Augen insistierten schweigend, als
ob sie die Dinge unmittelbar und ohne den Umweg der Worte fassen
wollten. So war er auch in grosser Gesellschaft sehr feinfühlend
und anpassend; regte ohne viel Worte an und förderte den momen-
tanen Rhythmus.
„Die Ölmaler sind in der Überzahl“ sagte Pascin, wenn wir
manchmal mit Matthes und den vielen anderen Malern zusammen im
„Dome“ sassen. Die Qualitätsmalerei, das schöne Stück im Sinne der
Impressionisten machte ihm viel zu schaffen. Die Ölmaler behaupteten,
es sei eben immer noch Zeichnung, und Pascin schnitt der Qualität
halber sein Ölbild immer kleiner, bis das schön gemalte Stück übrig
blieb. Von Matthes kenne ich dagegen Malerei in diesem Sinne
gar nicht. Er machte Aquarelle oder Guaschen und liess sich durch
malerische Theorien wenig stören. Uns, die wir mehr Zeichner waren
und das menschliche Gebahren von Paris zu erhaschen suchten, war
die allzu problematische Malerei ein Hemmschuh.
Er zeichnete seine fliegenden Montmartre-Carusselle, Tanzlokale,
seine Gesellschaftsszenen im Ritz; begnügte sich, seine Gestalten
leicht anzutuschen und rekonstruierte sie, ähnlich wie Hogarth, fast
ausschliesslich aus dem Gedächtnis. Er sass in einer Gesellschaft
und er schien bei oberflächlicher Beobachtung äusserst korrekt, peinlich
konventionell, von Zeit zu Zeit zeigte er sein Gebiss schöner Zähne.
Am anderen Tage hatte er uns zu fabelhaften Grotesken karikiert
und schenkte sie seinen Opfern. Auf unseren häufigen gemeinsamen
Streifzügen notierte und skizzierte ich eifrig, glaubte eine Bewegung,
eine Geste direkt streifen zu können, verbiss mich in das Fragment.
Nur mit grosser Mühe fügte sich das verzerrt Gesehene zum Ganzen,
oft blieb es Fragment. Während Matthes, ohne zu notieren, Zuschauer
war, zu Hause rein aus dem Gedächtnis autbaute, eine Begabung,
derentwegen ich ihn oft bewunderte.
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Ich lernte ihn in Paris kennen. Er gehörte zu dem Kreis der
jungen westdeutschen Maler, die damals mit Tewes, Wiegeis und Otto
von Waetjen den Montmartre bewohnten, das mondaine Pariser Leben
bevorzugten und höchst selten in das allzu bürgerliche Cafe du Dome
hinunter kamen.
Ich lernte Matthes schätzen und lieben durch sein Schweigen.
Er war ernst und verschlossen und unterschied sich dadurch vom
Pariser Milieu. Etwas Schwermütiges, Contemplatives war in sein
Gesicht geschnitten, die hellen Augen insistierten schweigend, als
ob sie die Dinge unmittelbar und ohne den Umweg der Worte fassen
wollten. So war er auch in grosser Gesellschaft sehr feinfühlend
und anpassend; regte ohne viel Worte an und förderte den momen-
tanen Rhythmus.
„Die Ölmaler sind in der Überzahl“ sagte Pascin, wenn wir
manchmal mit Matthes und den vielen anderen Malern zusammen im
„Dome“ sassen. Die Qualitätsmalerei, das schöne Stück im Sinne der
Impressionisten machte ihm viel zu schaffen. Die Ölmaler behaupteten,
es sei eben immer noch Zeichnung, und Pascin schnitt der Qualität
halber sein Ölbild immer kleiner, bis das schön gemalte Stück übrig
blieb. Von Matthes kenne ich dagegen Malerei in diesem Sinne
gar nicht. Er machte Aquarelle oder Guaschen und liess sich durch
malerische Theorien wenig stören. Uns, die wir mehr Zeichner waren
und das menschliche Gebahren von Paris zu erhaschen suchten, war
die allzu problematische Malerei ein Hemmschuh.
Er zeichnete seine fliegenden Montmartre-Carusselle, Tanzlokale,
seine Gesellschaftsszenen im Ritz; begnügte sich, seine Gestalten
leicht anzutuschen und rekonstruierte sie, ähnlich wie Hogarth, fast
ausschliesslich aus dem Gedächtnis. Er sass in einer Gesellschaft
und er schien bei oberflächlicher Beobachtung äusserst korrekt, peinlich
konventionell, von Zeit zu Zeit zeigte er sein Gebiss schöner Zähne.
Am anderen Tage hatte er uns zu fabelhaften Grotesken karikiert
und schenkte sie seinen Opfern. Auf unseren häufigen gemeinsamen
Streifzügen notierte und skizzierte ich eifrig, glaubte eine Bewegung,
eine Geste direkt streifen zu können, verbiss mich in das Fragment.
Nur mit grosser Mühe fügte sich das verzerrt Gesehene zum Ganzen,
oft blieb es Fragment. Während Matthes, ohne zu notieren, Zuschauer
war, zu Hause rein aus dem Gedächtnis autbaute, eine Begabung,
derentwegen ich ihn oft bewunderte.
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