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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 4.1924

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Heft 5
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Bessmertny, Alexander: Alte Bücher und Autographen: EIn Querschnitt
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https://doi.org/10.11588/diglit.62257#0568
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geistigen Zusammenhalt ihrer Entstehungsfermente in einem höheren Maße evident;
und der sinnliche Eindruck solcher Drucke gibt dem historischen Sensorium den
Geruch, die Farbe und das Fingerspitzenfühlen der Humanisten wieder. Ich teile
nicht die Begeisterung für die Schönheit dieser Einbände, aber ich taste und rieche
und sehe an und mit ihnen den Arbeitstag und die Sensation ihrer Entstehung und
ihres Erscheinens. Grundfalsch ist der Belehrungsversuch der Rpsenthalschen
Katalogeinleitung, die Druckerneuerungsversuche seit William Morris auf ein
Prinzip zu stützen, das die technische Vollkommenheit der Inkunabeltypen wieder
erreichen wollte. — Die Inkunabeltypen wurden nach den Manuskript-Typen als
Mustern geschnitten und erst im Laufe von Jahrhunderten vom Schriftcharakter zu
einer eigenen Druckindividualität erlöst. Didot und Bodoni, Drucker des 18. und
19. Jahrhunderts, sind die Vorbilder für unsere modernen Drucker geworden, wie
Hegner in Hellerau und die Bremer Presse. — Unter den Inkunabeln des Rosen-
thalschen Kataloges fallen auf: die Biblia tertia germanica von 1476, das Breviarium
Ratisbonense aus Bamberg in einem vollständigen Exemplar, eines der seltensten
liturgischen Bücher; das Nürnberger Missale Salisburgense von 1492; Breyden-
bachs heilge Reisen — wohl ein Speirer Druck von 1488 — mit den canaletto-
artigen, unzeitgemäß befreiten Holzschnitten, und das Augsburger Planetarium von
1474 mit den Holzschnitten der Augsburger Schule.
Prachtvoll illustrierte und gedruckte Werke des 17. Jahrhunderts werden wenig
gesammelt, während wirklich gute Holzschnittbücher des 16. Jahrhunderts bei uns
doch immer seltener werden, soweit es sich um wirklich seltene Drucke handelt. Von
französischen illustrierten Büchern des 18. Jahrhunderts sind jene in Frankreich,
England und Amerika so geschätzten Ausgaben in Ganz-Maroquinbänden der Zeit
in Deutschland überhaupt kaum zu finden. Eine Sammlung von unerhörter Voll-
ständigkeit, in gelben, grünen, roten, blauen, braunen, schwarzen Maroquin-Ein-
bänden mit der minutiösen Vergoldung auf Deckel, Rücken, Innenseite und Kanten,
dazu die meisten Exemplare mit Abzügen avant la lettre und vor allem vermehrt
durch Originalzeichnungen der Illustratoren und Autographen der Verfasser, hatte
der Pariser Sammler Meier zusammengebracht. Sie wurde jetzt in Paris ver-
steigert. Darunter war die Moliere-Ausgabe mit den Illustrationen Bouchers und
seinen eingehefteten Handzeichnungen.
Die ganz großen Seltenheiten der deutschen Literatur sind nicht etwa die in
den Katalogen mit hypertrophischen Raritätsvermerken ausgezeichneten Erst-Aus-
gaben wie Brentanos „Gockel, Hinkel und Gackeleia", das Faustfragment, die
Räuber, der Götz, der Werther, von denen Exemplare immer aufzutreiben sind,
sondern Goethes Dissertation von 1771, der Sonderdruck von „Deutscher Bau-
kunst" aus dem Jahre 1773 und einige andere Goethedrucke aus den Jahren 1773
bis 1774. Wirklich sehr selten sind auch vollständige Exemplare vom „Römischen
Carneval" von 1789 mit allen Kupfern und der Erratatafel, und vor allem die
ersten anonymen Veröffentlichungen Lessings „Die alte Jungfer" und „Der
Eremite" von 1749, die „Kleinigkeiten" und die „Gefangenen" von 1750. — Weckher-
lins Gedichte in der Erstausgabe sind schon beinahe mythologisch geworden und
ebenso Schillers erste selbständige Veröffentlichung „Versuch über den Zusammen-
hang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen" von 1780, wo
Schiller Zitate aus den damals noch unveröffentlichten „Räubern" für seine medi-
zinischen Thesen als naturwissenschaftliche Beweise beibringt.
Von all diesen Stücken wurde in den letzten Jahren so gut wie nichts
weder in Lager- noch in Auktionskatalogen angeboten. Die im Mai 1923 ver-

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