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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 1
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Woolf, Virginia: Joseph Conrad
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0043

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und sehr verständlicherweise kommen sie zu dem Schluß, es wäre letzten Endes
dienlicher, diese fünfzig Fiedler würden, statt Mozart zu kratzen, Steine klopfen.
Daß Schönheit eine Lehre ist, daß sie ein Zuchtmeister ist, wie könnten wir sie
davon überzeugen, sintemalen ihre Belehrung an den Klang der Stimme gebunden
ist und sie sie doch nicht hören? Aber man lese Conrad, nicht auszugsweise,
sondern sein gesamtes Werk, und derjenige ist allerdings ein hoffnungsloser Fall,
der aus der ein wenig steifen und feierlichen Musik mit ihrer Verhaltenheit, mit
ihrem Stolz, mit ihrer großen und unzerstörbaren Unberührbarkeit nicht heraus-
hört, daß es besser ist, gut zu sein als böse, daß Freimut gut ist und Ehrenhaftig-
keit und Tapferkeit gut, wenn auch nach außen hin Conrad nichts anderes schil-
dern will als eine Nacht auf dem Meere. Aber es ist ein Fehlgriff, solche Anspie-
lungen aus ihrem Element zu reißen. Unter unserer Lupe, ohne die Magie und das
Geheimnis der Sprache, verlieren sie ihre Gabe zu erregen und anzustacheln; sie
büßen die unmittelbare Kraft ein, die ein dauernder Bestandteil Conradscher
Prosa ist.
Denn es war die Wirkung einer Kraft und der Eigenschaften eines Führers
und Befehlshabers, daß sich Conrad bei Schuljungen und jungen Leuten durch-
setzte. Außer in Nostromo waren seine Charaktere, wie die Jugend schnell
herausfand, im Grunde einfach und heroisch, mochten auch Wille und Methode
ihres Schöpfers noch so vielfältig und umwegig sein. Es waren Seefahrer, gewohnt
an Einsamkeit und Schweigsamkeit. Sie lebten im Krieg mit der Natur, aber im
Frieden mit den Menschen. Die Natur war ihre Widersacherin; an ihr schulten
sich Ehre, Edelmut und Treue, diese männlichen Tugenden; sie war es, die im
stillen Hafen herrliche, hehre Mädchen dem Frauentum gewann. Im Grunde war
es die Natur, die so verzwickte und fragwürdige Charaktere schuf wie den Ka-
pitän Whalley und den alten Singleton, unbeachtete, aber groß in ihrer Unbe-
achtetheit, Gestalten, die Conrad die letzte Möglichkeit unserer Rasse dünkten,
Männer, deren Lob zu singen er nie müde wurde.
Sie waren stark nach Art derer, die weder Zweifel kennen noch Hoffnung. Sie
waren ungeduldig und ausdauernd, unruhvoll und hingegeben, ungestüm und gläubig.
Brave Leute haben diese Männer so darstellen wollen, als weinten sie jedem Bissen nach,
als täten sie ihre Pflicht in ständiger Angst um ihr Leben. Aber in Wirklichkeit waren es
Männer, die Mühe, Entbehrung, Gewalttat und Ausschweifung kannten -— - nicht aber
die Angst, und in ihrem Herzen war kein Platz für irgendwelchen Haß. Schwer zu
lenkende Männer, aber leicht geisternde; Männer ohne Stimme — aber Manns genug,
um in ihren Herzen die gefühlvollen Stimmen zu ersticken, die sich über die Härte ihres
Schicksals beklagen wollten. Es war ein einzigartiges Schicksal und ganz ihr eigenes; die
Kraft, es zu tragen, dünkte sie das Vorrecht der Auserwählten! ihre Generation lebte
klang- und klaglos, ohne den Trost menschlicher Bindungen oder die Zuflucht eines
Heims zu kennen — und starben frei von der düsteren Drohung eines engen Grabes. Sie
waren die ewigen Kinder des geheimnisvollen Meeres.
Solcher Art waren die Charaktere in den früheren Büchern — - Lord Jim,
Typhoon, The Nigger of the Narcissus, Youth; und diese Bücher, trotz allem Wandel
und allen Geschmacksänderungen, sind ihres Platzes unter unsern Klassikern
unstreitig gewiß. Sie erreichen aber diese Höhe dank Eigenschaften, auf die der
einfache Abenteurerroman, wie ihn Marrigot oder Fenimore Cooper geschrieben
haben, keinen Anspruch erheben darf. Denn es ist klar, daß man, um solche
Männer und solche Taten romantisch, von ganzem Herzen und mit der Leiden-

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