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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 1
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Bagge, Evelyne: Englische Gesellschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0068

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gesprochen gehören zu den wirkungsvollsten Vertretern der Aristokratie nach dem
politischen Einfluß, dem guten Aussehen und dem Anteil, den sie an gesell-
schaftlichen Angelegenheiten nehmen, der Marquis und die Marquise von
Londonderry, die Herzogin von Portland und der Herzog und die Herzogin
von Northumberland; die schönsten Frauen sind die Viscountess Curzon, die
Countess of Winchilsea und die junge Lady Nunburnholme.
Die Gruppe der smarten Jungen ist vielleicht die einflußreichste, weil sie so
viele Nachahmer hat. Ihre Frauen sind alle entzückend und gut angezogen, so
daß alle Männer sie bewundern und alle andern Frauen so auszusehen versuchen
wie sie. Diese Clique ist die kleinste und abgeschlossenste von allen. Doch ist
es die Abgeschlossenheit von Schönheit und Charme. Zu den weiblichen Mit-
gliedern, gemeinhin bekannt als „The lovelies" gehören: Lady Louis Mount-
batten, die Enkelin des großen deutschen Finanziers Sir Ernest Cassel und reichste
Erbin in England, Lady Loughborough, eine Australierin, Mrs. Lionel Tennyson,
Gattin des bekannten Cricketers, und die Marchesa de Casa, deren kubanischer
Gatte erster Direktor einer Londoner Motorenfirma ist; Mrs. Dudley Ward,
die Enkelin eines Spitzenfabrikanten, Mrs. Dudley Coats, deren verstorbener
Gatte der großen Baumwollfirma angehörte, und Mrs. Richard Norton. Einige
von ihnen reiten Jagden, andere bestreiten Rennen, alle aber tanzen sie die meisten
Nächte des Jahres, entweder in den exklusivsten Ballsälen (denn überall reißt
man sich um sie), im allerneuesten und vornehmsten Londoner Nachtklub oder
an den Treffpunkten der feinen Welt auf dem Festland, Le Touquet und Deauville
im Sommer, St. Moritz, Riviera und Ägypten im Winter.
Der Prinz von Wales hat viele Freunde unter Männern und Frauen dieser
Gruppe und der der Jagdreiter. Die Jagdreiter zwingen dem Leben die meiste
Freude ab. Es gibt viele Meuten in England und Wales, allein zweihundert
Fuchsmeuten, abgesehen von denen für Hasen- und Hirschhetzen; jedoch steht
Melton an erster Stelle; es hat das günstigste Jagdgelände, verlangt die vorzüg-
lichsten Pferde und übt so starke Anziehung auf die beste Gesellschaft aus. In
Melton liegen die berühmten Quorn und Cottemore Meuten; alle Prinzen jagen
da, dazu noch die Schar der Gäste aus London und Amerika, abgesehen von den
Leuten, die ihre Häuser in der Gegend haben. Die Gäste mieten Häuser für die
Jagdsaison, verbringen Mitte der Woche ein oder zwei Tage in London und das
Wochenende mit Jagd, Tanz, Poker und Flirt. Den zweiten wirklich smarten
Treffpunkt bildet die Gegend von Badminton in Westengland, Besitz des Herzogs
von Beaufort, eines schönen jungen Mannes, der die Nichte der Königin geheiratet
hat. Dort herrscht vielleicht nicht ganz der Hochbetrieb wie in Melton, sondern
eher der alte Brauch; auch ist der Einfluß Londoner Eindringlinge weniger
fühlbar. Die Gegend ist bekannt unter dem Namen „the Duke's country", und er
selbst reitet sechs Tage in jeder Woche hinter der Meute, die seinen Namen trägt.
Das Jagdgelände, die Rennen, Ballsäle und einige der besten Restaurants und
Klubs sind die gesellschaftlichen Treffpunkte, weil es die Orte sind, die wirkliche
Unterhaltung bieten. Festlichkeiten, außer Hofbällen, Cercles und gewissen
großen Empfängen, sind ziemlich überlebt. Ganz gewiß die Nachmittags-
veranstaltungen; die bleiben die Zuflucht der Snobs und Streber, deren Verlangen
zu sehen und gesehen zu werden stärker ist als das Verlangen nach Unterhaltung.

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