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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 1
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Edwards, William Hayden: What is this thing called love?: Einführung in die englische Erotik
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0084
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Sidney Hunt

Begleiterscheinung, Homosexualität unter noch nicht völlig entwickelten Jugend-
lichen, haben das „M" im Sinne von Weininger als Komponente im Wesen des
englischen Maskulinums bereits vor der Ehe entwicklungsmäßig bedrängt und
eingeschränkt.
Der vielfach fehlende Umgang mit den kontinental-europäischen zahllosen
Varianten des „süßen Mädels" haben im reichen jungen Engländer einen Zynis-
mus in der Einstellung zu erotischen Dingen hervorgerufen. Die natürlichen
und unnatürlichen Umwege des „Abreagierens" bedingten fast immer eine Aus-
schaltung des Gefühlsmomentes der persönlichen Anziehung als Triebkraft.
England ist daher das Geburtsland jener Form des
antiphysikalischen und dennoch seelenlosen Ge-
schlechtskampfes, des Flirts, geworden, der alles,
was eine Phantasie zu begehren vermag, verheißt
und nichts, was auch der phantasieloseste Bauer
braucht, zu gewähren gesonnen ist.
Der Flirt, der sich in der Küche und im Salon,
in anderen Worten, aber in denselben Formen und
Gesten abspielt, ist die Verderberin der Englän-
derin als Mutter. England, das jetzt fast eine
stationäre Bevölkerung erreicht hat, und in einigen
Jahren, wie seine Sexualsachverständigen behaupten,
Frankreichs Schicksal zu teilen berufen ist, hat die
brutale Frau und nicht nur die Lady hervorgebracht.
Diese Frau, der „Vamp", die mit den erotischen
Wünschen des Mannes nur spielt, um dadurch
ihre gesellschaftliche oder finanzielle Position zu
verbessern, will nur Kinder bekommen, wenn sie
den Kindersegen als einen völlig unvermeidlichen
Teil ihres „Kontraktes" empfindet, den sie aus
Gründen der Erbschaftsgesetzgebung (Anerben-
recht) erfüllen muß, um nicht ihren Halt über ihren
Geld- und Güterlieferanten zu verlieren. Seit Jahr-
hunderten hat die englische Frau zuerst der Ober-
schicht, dann der Mittelschichten das Kind, das

lebendige Menetekel an den unangenehmen Teil des Bekleidungs- und
Vergnügungskontraktes, aus ihrem Leben verbannt. Die Nurse, die Gouver-
nante, die Internate — erst preparatory school, dann public school, endlich
college oder Kriegsschule — übernehmen die Erziehung in Massenregie und
verewigen die so bequemen anpassungsfähigen erotischen Eigenschaften
des Vaters für kommende Geschlechter der Töchter.
In England stirbt man weder als Jüngling noch als Jungfrau, weder als Witwe
noch als Mätresse an gebrochenem Herzen. Das Herz hat mit den englischen Liebes-
erscheinungen nichts zu tun. Das Herz schlägt nur höher bei dem Erklingen des im
Weltkrieg berühmt gewordenen Kampfliedes : „O land of Hope and Glory, Mother
of the Free". Der Engländer und die Engländerin lieben nur die „stately homes of
England", aber nicht diejenigen, die sie bewohnen, oder das, was sich darin tut.

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