Neben ihm regiert die Bürokratie. Es ist ein Glück, daß sie da ist. Sie sichert
wenigstens die Kontinuität der Verwaltung. Aber auch sie führt nicht, auch sie ist
nicht der Kopf des Landes. Man kann ihr keinen Vorwurf daraus machen, sie tut,
was sie kann. Sie leistet im Grund mehr als vor dem Krieg, weil es damals leichter
war zu verwalten; heute ist sie abhängig von den wechselnden Mehrheiten des
Parlaments und vor allem im produktiven Willen an jene Mehrheiten gebunden.
Wer regiert also in Deutschland, wenn es nicht das Parlament ist und nicht die
Verwaltung? Man glaubt so oft, es sei die Wirtschaft und versteht darunter deren
Organisationen; das ist ein entschiedener Irrtum. Die Spitzenverbände der Wirt-
schaft zeigen die gleiche ungeistige und aktionsunfähige Verfassung wie die staat-
lichen und kommunalen Parlamente. Auch im Organisieren dieser Verbände sind
wir groß gewesen, wie in jeder leeren Organisation. Gewiß: jeder Reichs- und
Spitzenverband umfaßt die Gesamtheit seiner Gruppe. Aber da alles in ihnen ver-
einigt ist, finden sich auch alle Gegensätze, z. B. Schwer- und Fertigindustrie,
Schutzzöllner und Freihändler, Scharfmacher und Sozialreformer, Preußen und
Bayern. Und da man niemandem weh tun will und keinen Mitgliedsverband ver-
lieren will, weil das die Geschlossenheit und Einigkeit der Gruppe stört, zieht man
es vor, allen Konflikten und damit allen Problemen auszuweichen, und landet bei
allgemeinen Redensarten, die die Zuhörer und Leser langweilen und die schließ-
lich auch auf die gesetzgebenden Faktoren keinerlei Eindruck mehr haben.
Ein einziger Mann, Gustav Stolper, ein freier Schriftsteller, hat den Mut und
den Geist gehabt, ein positives, bis ins einzelne ausgearbeitetes Finanzprogramm
aufzustellen. Was geschah? Man hat es nicht als willkommene Basis genommen,
nicht auf das Brauchbare geprüft, nicht zur Unterlage einer leidenschaftlichen Dis-
kussion gemacht; sondern man hat es hämisch und mit der leidenschaftslosen
Gelassenheit abgelehnt, mit der man bei uns alle großen Konzeptionen zu den
Akten legt, von denen man zu sagen pflegt, sie seien gut und richtig, müßten auch
eines Tages ausgeführt werden, aber die Zeit sei noch nicht reif. Es ist die Bequem-
lichkeit der Faulen, eine Gegenwartsaufgabe auf eine Zukunftslösung zu verweisen.
II.
Die Entthronung des Geistigen begann mit Kriegsausbruch; die Formen, in
denen während des Krieges der Staat gelenkt, die öffentliche Meinung gemacht,
Politik und Wirtschaft getrieben wurden, waren denkbar primitiv und geistlos.
Sie hätten es nicht sein müssen, wie das Beispiel Frankreichs und Englands zeigte,
aber sie waren es bei uns. Alles Differenzierende, Individualisierende verschwand
oder mußte sich verkriechen, das Kommando herrschte, alles Gedankliche wurde
so lange umgemünzt und falsch gemünzt, bis es als Scheidemünze für Alle in Um-
lauf gesetzt werden konnte, und an Stelle der produktiven, aus einem eigenen
Willen geborenen Idee trat die für den Massen- und Soldatengebrauch aus-
gewälzte Phrase.
Neben die Phrase trat — in allen Ländern — die Lüge, neben sie, nach Kriegs-
ende, mit der Beschlagnahme fremden Eigentums durch die Siegerstaaten, der
nackte Raub, mit der Inflation der nackte Staatsbankerott. Die Ideen und Begriffe
von Wahrheit, Freiheit und Eigentum schienen aufgehoben, die Staaten, berufen
zu ihren obersten Hütern, entpuppten sich als ihre Verächter. Gelehrte und
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wenigstens die Kontinuität der Verwaltung. Aber auch sie führt nicht, auch sie ist
nicht der Kopf des Landes. Man kann ihr keinen Vorwurf daraus machen, sie tut,
was sie kann. Sie leistet im Grund mehr als vor dem Krieg, weil es damals leichter
war zu verwalten; heute ist sie abhängig von den wechselnden Mehrheiten des
Parlaments und vor allem im produktiven Willen an jene Mehrheiten gebunden.
Wer regiert also in Deutschland, wenn es nicht das Parlament ist und nicht die
Verwaltung? Man glaubt so oft, es sei die Wirtschaft und versteht darunter deren
Organisationen; das ist ein entschiedener Irrtum. Die Spitzenverbände der Wirt-
schaft zeigen die gleiche ungeistige und aktionsunfähige Verfassung wie die staat-
lichen und kommunalen Parlamente. Auch im Organisieren dieser Verbände sind
wir groß gewesen, wie in jeder leeren Organisation. Gewiß: jeder Reichs- und
Spitzenverband umfaßt die Gesamtheit seiner Gruppe. Aber da alles in ihnen ver-
einigt ist, finden sich auch alle Gegensätze, z. B. Schwer- und Fertigindustrie,
Schutzzöllner und Freihändler, Scharfmacher und Sozialreformer, Preußen und
Bayern. Und da man niemandem weh tun will und keinen Mitgliedsverband ver-
lieren will, weil das die Geschlossenheit und Einigkeit der Gruppe stört, zieht man
es vor, allen Konflikten und damit allen Problemen auszuweichen, und landet bei
allgemeinen Redensarten, die die Zuhörer und Leser langweilen und die schließ-
lich auch auf die gesetzgebenden Faktoren keinerlei Eindruck mehr haben.
Ein einziger Mann, Gustav Stolper, ein freier Schriftsteller, hat den Mut und
den Geist gehabt, ein positives, bis ins einzelne ausgearbeitetes Finanzprogramm
aufzustellen. Was geschah? Man hat es nicht als willkommene Basis genommen,
nicht auf das Brauchbare geprüft, nicht zur Unterlage einer leidenschaftlichen Dis-
kussion gemacht; sondern man hat es hämisch und mit der leidenschaftslosen
Gelassenheit abgelehnt, mit der man bei uns alle großen Konzeptionen zu den
Akten legt, von denen man zu sagen pflegt, sie seien gut und richtig, müßten auch
eines Tages ausgeführt werden, aber die Zeit sei noch nicht reif. Es ist die Bequem-
lichkeit der Faulen, eine Gegenwartsaufgabe auf eine Zukunftslösung zu verweisen.
II.
Die Entthronung des Geistigen begann mit Kriegsausbruch; die Formen, in
denen während des Krieges der Staat gelenkt, die öffentliche Meinung gemacht,
Politik und Wirtschaft getrieben wurden, waren denkbar primitiv und geistlos.
Sie hätten es nicht sein müssen, wie das Beispiel Frankreichs und Englands zeigte,
aber sie waren es bei uns. Alles Differenzierende, Individualisierende verschwand
oder mußte sich verkriechen, das Kommando herrschte, alles Gedankliche wurde
so lange umgemünzt und falsch gemünzt, bis es als Scheidemünze für Alle in Um-
lauf gesetzt werden konnte, und an Stelle der produktiven, aus einem eigenen
Willen geborenen Idee trat die für den Massen- und Soldatengebrauch aus-
gewälzte Phrase.
Neben die Phrase trat — in allen Ländern — die Lüge, neben sie, nach Kriegs-
ende, mit der Beschlagnahme fremden Eigentums durch die Siegerstaaten, der
nackte Raub, mit der Inflation der nackte Staatsbankerott. Die Ideen und Begriffe
von Wahrheit, Freiheit und Eigentum schienen aufgehoben, die Staaten, berufen
zu ihren obersten Hütern, entpuppten sich als ihre Verächter. Gelehrte und
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