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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 3
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Tschuppik, Karl: Prag und die Prager
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0243
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Akten auf den Misthaufen zu werfen, hat die Opfer der Rebellion vor dem Tode
gerettet. Die drei Räte kamen auf einen meterhohen Papierhügel zu liegen, der sie
wie ein sanftes Polster auffing. Die komische Wirkung der Szene vermochte den
pathetischen Schritt der Ereignisse nicht aufzuhalten. Das Haus Habsburg siegte.
Seit 1618 aber waren die „kaiserlichen Räte" in Prag unbeliebt.
*
Mit einer Einschränkung: Zwischen dem Pulverturm und der Moldau, im
Herzen der Stadt, stand der „Kaiserliche Rat" in hohen Ehren. Dieses Gebiet
gehörte der andern Welt an. Die Prager Altstadt und deren Promenade, der „Gra-
ben", galten lange Zeit als eine Art Kindergarten der neueren deutschen Literatur.
Das Knäblein im Kinderwagen stammelte gereimt. Zehnjährig, sprach der Knabe
in freien Versen. Die Großväter und Väter der Literatur aber trieben Handel. Sie
sprachen ungereimt das Prager Deutsch. Ihnen gehörten die großen Banken der
Stadt, die Kaufläden und Magazine. Zu Reichtum und Ansehen gekommen, den
Titel „Kaiserlicher Rat" als die Krönung der bourgeoisen Karriere empfindend,
identifizierten sie sich mit der starren Staatsräson der josefinischen Ära.
Kaiser Franz Josef, keineswegs ein großer Staatsmann, aber in den reifen
Mannesjahren mit dem Instinkt seines Hauses begabt, versuchte nach Sedan, eine
Brücke zu dem ewig grollenden Prag zu schlagen. Es gehört zu den paradoxen
Einfällen der österreichischen Geschichte, daß des Kaisers Helfer bei diesem
Versuch ein schwäbischer Protestant war, der Tübinger Professor Adalbert
Schäffle. Der Schwabe, ehedem Revolutionsmann, Freischärler, Journalist, dann
Kathedersozialist und Nationalökonom, meinte es gut. Er hatte den Kaiser für
das allgemeine Wahlrecht, für soziale Reformen und die Erfüllung der staats-
rechtlichen Wünsche Böhmens gewonnen. Das Experiment scheiterte an den
kaiserlichen Räten Prags, die kaiserlicher waren als Franz Josef. Sie hatten nun
nicht nur Banken, Kaufläden und Magazine; ihre Onkel und Neffen aus Böhmen
und Mähren saßen in den Redaktionen Wiens und Prags. Der Kaiser verlor das
Spiel gegen die Prager kaiserlichen Räte.
Er wagte, dem Trieb der Erhaltung folgend, noch zweimal Versuche der Ver-
söhnung mit Böhmen. Es war zu spät.
*
Ich wohnte eine Zeit in einem kleinen Hotel der „Kleinseite", zwischen der
Kirche der Malteser und dem Palast der Grafen Waldstein, ein paar Schritte von
dem Kampfplatz, wo 1648, knapp vor dem Westfälischen Frieden, der Schwe-
dengerieral Königsmark die Verteidiger der Kleinseite niedergeschlagen hatte.
Das Hotel roch nach Geschichte und Mäusen. Nach der Pariser Julirevolution war
Karl X., der letzte Bourbonenkönig, hier einquartiert gewesen. Kaiser Franz,
Napoleons Schwiegervater, hatte dem Verjagten eine Zimmerflucht des Prager
Schlosses als Asyl gewährt. Als Karl kam, war das Schloß unbewohnbar; der
Exkönig mußte mit dem „Bad-Hotel" vorliebnehmen. Den König hielt es auch
im Schloß nicht lange. Er übersiedelte nach Görz und starb dort. Seine Ruhestätte
wurde 1916 von der italienischen Artillerie zerstört. Die Kaiserin Zita ließ die
Gebeine des letzten Bourbonen insgeheim nach Wien überführen, wo sie heute
noch auf dem stillen Döblinger Friedhof begraben liegen. Die für Karl X. her-
gerichteten Zimmer des Prager Schlosses hat 1848, nach dem Thronverzicht,

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