Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

DOI issue:
Heft 3
DOI article:
Nohara, Komakichi: Dolche, Küsse, Tänze in Tokio
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0276

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
das Laster pittoresk im altjapanischen Sinne macht, daß das Parkett des Kaiser-
lichen Theaters in Tokio, wenn die freigebliebenen Billets an die Geisha verteilt
worden sind, eine Augenweide für jeden Liebhaber von Frauen, Farben und kost-
baren Stoffen ist. Die Geisha trägt auch noch als einzige die einheimische Frisur,
die dem Beschauer so viel Genuß, der Trägerin so viel Mühe und Schmerzen be-
reitet: den Ebenholzhelm aus langen, glatten pechschwarzen Strähnen, den ölig
glänzenden Bau, in dem Blumen, Bänder, Pfeile, Quasten, Schmetterlinge und
Metallspiegel stecken. Die übrige Weiblichkeit geht nach jener Mode frisiert, die
von den „soeben aus Paris" oder „soeben aus Hollywood zurückgekehrten"
Haarkünstlerinnen diktiert wird.
In Tokio haben wir Madame Tschiyeko Yamano, die den „Manazuru" kreiert
hat, und Madame May Uschiyama, Creatrice des „Hollywood Style". Manazuru
oder Storch-Stil vereinigt, wie Mme. Yamano erklärt, den „intriguing beauty"
(das kann man nicht übersetzen) des langen Bubenkopfs, der jetzt in Amerika und
Europa en vogue ist, mit der ruhigen Schönheit der klassischen japanischen Frisur.
Das Haar wird seitlich gescheitelt und in weichen Wellen von Ondulation Marcel nach
hinten gezogen. Die Wellen sind rund, und es gibt deren drei auf der rechten und
fünf auf der linken Seite. Die Enden sind nicht gewellt und werden am Hinterkopf
zusammengezogen. Um dem Ganzen einen pikanten modernen Zug zu geben,
wird eine Skulpturlocke hinten um das rechte Ohr gelegt. (Ich gebe das wörtlich
wieder, ohne ein Wort davon zu verstehen.) Bei Mme. Uschiyamas „Hollywood
Style" wird der ganze Kopf mit Ausnahme des Hinterkopfs mit hufeisenförmigen
Wellen belegt. Die Ohren sind nur zur kleineren Hälfte zu sehen. Eine Skulptur-
locke über der linken Braue erhöht den Charme der Frisur. Juwelenhaarnadeln
hinter dem rechten Ohr geben einen Zug ins Moderne. — Auffallend ist, daß bei
beiden Frisuren die Welle vorkommt. Mein Gott, vor zehn Jahren hätte sich ein
Mädchen, das mit welligem oder gar lockigem Haar geboren worden wäre, aufge-
hängt oder wäre doch zumindest unverheiratet geblieben! Und heute pilgern sie
zum Salon Hollywood oder „Chez Tschiyeko", um sich Dauerwellen machen zu
lassen.
Über das japanische Mobo und das Moga hat man viel geschrieben; ersterer ist
der modern boy, letztere das modern girl, in der japanischen Sprechart: modern
„garl"; die Taxitänzerinnen habe ich erwähnt; nicht vergessen darf ich der kleinen
tüchtigen Autobusschaffnerinnen von Tokio, für die ich eine ganz besondere
Vorliebe habe. Ich bin stolz auf sie, weil man in anderen Ländern nach einem
kurzen Kriegsexperiment bald und gern auf sie verzichtet hat. In Tokio ist sie
aber bleibendes Bestandteil des Straßenbilds, wie etwa das Bollemädchen von
Berlin. Nicht vergessen darf ich auch der Chauffeusen des Miyanoschita Hotels,
jener Mädchen, die aus den Reisfeldern direkt in die Breeches und Lederjacken der
Chauffeure gestiegen sind. Und richtig, nicht vergessen darf ich auch das Neuste,
das wir uns errungen haben: das „Spa^ierstockgirl" von der Ginza. Die Ginza ist
die Tauentzienstraße und der Kurfürstendamm vonTokio, und das Spazierstock-
girl heuert man am unteren Ende der Ginza; sie ist hübsch, unterhaltend und
dekorativ und spaziert mit einem für Yen 1,25 einmal die Ginza hinauf und einmal
hinunter. Sonst hat sie keine Talente. Aber dem japanischen Flaneur scheint das
zu genügen.

174
 
Annotationen