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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 3
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Kahn, Máximo José: Die Liebe in Spanien
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0287

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der Mutter. Sehr oft ist der Arzt gezwungen, die Kranke zu behandeln, ohne sie
wesentlich berühren zu dürfen, und mir ist ein Fall bekannt, wo eine höhere
Tochter beinahe draufgegangen wäre, weil sich die Mutter, unter dem Hinweis,
ihr Kind sei ein anständiges Mädchen, entschieden weigerte, sie vor den Augen
des Arztes Wechselbäder nehmen zu lassen.
Der Hauptreiz des spanischen Frauentypus ist die Herbheit. Diese, die bei
längerem Zusehen wie ein ewiges Erzürntsein wirkt, rührt daher, daß ihre
Kirchlichkeit sie zu ständiger Selbstbeherrschung zwingt. In Spanien gibt es keine
unverstandenen Frauen, weil nur jene Spanierin sich unverstanden fühlen würde,
deren Gatte sie zu seiner Geliebten machen wollte.
Ihre majestätische Selbstbeherrschung führt schließlich
dahin, daß sie körperlich und seelisch von einer
steinharten Schale umkrustet erscheint, die zu durch-
brechen kein Gatte unternimmt. Die Leidenschaft-
lichkeit der bürgerlichen Spanierin beschränkt sich
vielfach auf die Sorge, wie gelegentlichen Ver-
dauungsstörungen in ihrem Bekanntenkreis abzuhelfen
sei, und auch die berühmte Heißblütigkeit hat ab-
solut nichts mit erotischer Passion zu tun; sie ist
einzig und allein das unüberbietbar zähe, bis zur
Raserei hartnäckige Verharren auf ihrer Liebesehre,
einer Liebesehre, die ihr in den Kopf setzt, daß
der Mann, den sie zum Vater ihrer Kinder be-
stimmte, der Vater ihrer Kinder werden muß. Für
die bürgerliche Spanierin gilt nicht das Wort: Wenn
es nicht dieser ist, dann eben ein anderer. Die Ehen
werden im Himmel geschlossen, in jenem Himmel,
den es zu erwerben gilt...


Aber die spanische Prostituierte läßt sich nicht in die, ihr übriggelassene,
Hölle hinabstoßen. Waldo Frank hat sie schön und treffend gezeichnet, wie sie
sich niemals weiter entkleidet, als bis auf ein goldenes Kreuzchen, das sie an
einem dünnen Kettchen auf der nackten Brust trägt. Wenn sie merkt, daß das
harte, eckige und kalte Signum ihren Freund stört, zieht sie vor, statt es abzu-
legen, das Kettchen zu drehen, bis das Kreuz am Rücken herabhängt. Wenn es
ihr nicht so schlecht geht, daß sie alles verkaufen mußte, wird man über dem Bett
auch ein Kruzifix finden, vielleicht einen Rosenkranz aus Perlmutter dabei. Die
spanische Kirche schließt nicht so leicht ein Geschöpf aus der Sphäre ihrer Gnade aus.
So wie die Autodroschken Segen und Heiligenmedaille empfangen, welch letztere
neben dem Amperemeter angeschraubt zu werden pflegt, trägt das Zimmer der
kleinen spanischen Dirne deutlich das Gepräge einer Privatkapelle. Dem Besucher
strömt der lateinisch-fahle, medizinale Geruch von Weihrauch entgegen. An Kirch-
lichkeit übertrifft die Kokotte womöglich ihre bürgerliche Schwester. Es ist aber-
gläubige Frömmigkeit, durch die sie die Sentimentalität der nordischen Prostituierten
ersetzt. Sie küßt das Stück Brot, das ihr vom Tisch gefallen war; sie schlägt das
Kreuz vor dem offenen Mund, wenn sie gähnt; und sie wirft sich zu inbrünstigem
Gebet auf die Knie, wenn Gewitter heraufzieht. Sie ist untertänig und hat immer

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