Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0288
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Heft 3
DOI article:Kahn, Máximo José: Die Liebe in Spanien
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Merkel
etwas von der kleinen Kammerzofe, die stolz darauf ist, daß derselbe Herr ihr
seine Gunst schenkt, der noch vor wenigen Stunden so sehr feine Damen empfing.
Genau betrachtet, ist das öffentliche Mädchen in Spanien nichts als eine Art von
barmherziger Schwester, und man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, als
geböte über sie so etwas wie eine Heils-
armee- oder Rote-Kreuz-Organisation. Man
behandelt sie betont schonungs- und takt-
voll, und man spricht mit ihr von allem
anderen, nur nicht von dem Geld, das sie
für ihre Tätigkeit empfangen wird. Als ob
sie selbst das Gelübde der Armut abgelegt
hätte und man ihr höchstens eine Gabe für
ihr Institut anbieten dürfe, sind viele Be-
sucher so zartfühlend, beim Abschied den
Obolus ausdrücklich mit den Worten zu er-
legen: „Hier hast du ein Brathähnchen!" —
Der spanischen Prostituierten ist durchaus
bewußt, daß sie keinen dunklen Fehltritt
des Mannes darstellt, sondern sozusagen die
Stütze der Hausfrau. So, wie der Haushalt
einer zweiten Kraft bedarf, und zwar für
die niedrigen Arbeiten, hält „sich" die
Hausfrau für die minderen Funktionen der
Liebe ein Mädchen für alles. Dieses Mädchen
für alles sieht, daß auf dem Grunde ihres
Tuns Dulder- und Märtyrertum schimmert.
Wenn sich die Gattin vor Entheiligung da-
durch zu schützen weiß, daß sie sich nur
zum Empfangen hergibt, ist die Mission der
Dirne um so frommer, als sie demütig ver-
richtet, was jene nicht verrichten will. Die
Gattin schraubt ihre mütterliche Tugend
auf das Maximum hinauf, die Prostituierte
drückt ihre Sünde auf das Minimum hinab.
Dazwischen steht der spanische Mann.
Bekannt ist, daß er seine Tage im Kaffee-
haus oder im Klub verbringt. Hier darf er
seine unausgetobte Kraft an unbeschreib-
bare Flüche hingeben. Er geht nach Hause, um den Sohn zu erzeugen und um
gelegentlich an der Seite seiner Gemahlin und deren Mutter eine Mahlzeit einzu-
nehmen. Er geht zu seiner kleinen Freundin, in der Zuversicht, zu finden, was
er sucht und kehrt in den Klub zurück, zu suchen, was er nicht fand. Scheidung
ist in Spanien nicht möglich. Aber Cafe und Klub sind die Maschen des
Gesetznetzes gegen die Scheidung, durch die er schlüpft. Cafe und Klub sind
die Scheidung, die ihm die Kirche verweigert, und der Ausweg, der ihm bleibt
zwischen zwei Fakultäten von Nonnen.
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