Paul Levi ft
Es gibt in jeder Stadt Menschen, von denen man sagen kann, sie repräsen-
tieren diese Stadt in einer mehr oder minder vollkommenen Weise. Es brauchen
nicht immer die zu sein, die man am meisten nennt, im Gegenteil. Niemand
würde auf den Gedanken kommen, daß z. B. Herr Bernard Shaw London
repräsentiere, wofür vielmehr ein so sympathischer Mensch wie Augustus John,
Englands bedeutendster Maler, geeignet wäre, d. h. ein Mann, der es als unter
seiner Würde ansieht, für sich Reklame zu machen unter dem Deckmantel eines
gewissen, dem Alltag fernen, unantastbaren Heroismus, wie man dafür auch gerade
hierzulande treffende Beispiele hat; denn es muß ein Mann sein, der einfach ist,
einfache Formen hat, vor allen Dingen auch ein Mann, hinter den man erst
kommt, wenn man ihn näher kennt, ein Mann, der seine besten Reserven im
Hintertreffen hält, „a nice man" sozusagen.
Finde erst mal jemand für eine Stadt wie Berlin den repräsentativen Menschen,
für eine Stadt, die aus Gegensätzlichkeiten besteht, — die z. B. keinen Sinn für
Tradition und sich trotzdem für Tradition in anderen Städten, wie Paris und Lon-
don, besonders interessiert, eine Stadt, die gern ein bestimmter Typus sein möchte,
aber doch mit Wonne alles aufnimmt, was irgendwo in der Welt außerhalb ihrer
Mauern fabriziert wird, um es nach Gebrauch alsbald in den Mülleimer zu tun.
Eine Stadt, die in ihren meistgenannten Typen oft den Sinn für Humor in be-
merkenswertem Umfang vermissen läßt, und trotzdem jeden Tag von neuem
eine Unmenge komischen Stoffes „aus Eigenem" zutage fördert. Eine Stadt, die
bei der Vielfältigkeit ihres Ehrgeizes unausgeglichen sein muß, und die trotzdem
heute das Zentrum des Lebens in Europa ist, die Stadt der Mitte, wo sich alle
Linien schneiden, eine Stadt, weniger der planvollen Absicht, als vielmehr
des Rohmaterials.
Diese Stadt repräsentierte — soweit man überhaupt von Repräsentation einer
solchen Vielheit sprechen kann — Paul Levi, und zwar, was das einzige an
diesem Mann war: er repräsentierte sie nicht in ihren Schwächen, sondern in
ihrer Stärke. Dieser Mensch war, bei aller Vielseitigkeit, von einer genialen
Einheitlichkeit. Der Schlüssel zu dieser Veranlagung lag in seiner Tugend, die
das Gegenteil einer beliebten, besonders zeitgemäßen Berliner Untugend ist: er
hörte nämlich zu, war bei der Sache, wenn er sich unterhielt, und hatte diese
Anti-Schmus-Gesinnung, die es ihm verbot, alberne Redensarten zu machen und
ihn zwang, dem andern insgesamt zuzuhören und nicht mit % oder % Ohr, wie
cs hier gern und oft geübt wird. Man merkte in der Nähe dieses Menschen die
Aura seines starken Charakters, der ihn, wie das sämtliche Nachrufe bereits
festgestellt haben, verhinderte, zugunsten von Parteimaximen die eigene Per-
sönlichkeit zu unterdrücken. Ein lebendiger Vorwurf, auch jetzt noch, und zwar
jetzt erst recht, für alle die naiven Afficheure, die sich die Etikette einer radikalen
Partei an den Hut stecken und dadurch ihre Eigenschaft eines humorlosen Clowns
besonders deutlich machen. Der „Querschnitt" war stolz auf seine Mitarbeit.
Es war ein Mensch von einer geradezu runden Vollkommenheit, und deshalb
ist der Gedanke so absurd, daß er von einem Tag zum andern abtreten mußte.
H.v. W.
188
Es gibt in jeder Stadt Menschen, von denen man sagen kann, sie repräsen-
tieren diese Stadt in einer mehr oder minder vollkommenen Weise. Es brauchen
nicht immer die zu sein, die man am meisten nennt, im Gegenteil. Niemand
würde auf den Gedanken kommen, daß z. B. Herr Bernard Shaw London
repräsentiere, wofür vielmehr ein so sympathischer Mensch wie Augustus John,
Englands bedeutendster Maler, geeignet wäre, d. h. ein Mann, der es als unter
seiner Würde ansieht, für sich Reklame zu machen unter dem Deckmantel eines
gewissen, dem Alltag fernen, unantastbaren Heroismus, wie man dafür auch gerade
hierzulande treffende Beispiele hat; denn es muß ein Mann sein, der einfach ist,
einfache Formen hat, vor allen Dingen auch ein Mann, hinter den man erst
kommt, wenn man ihn näher kennt, ein Mann, der seine besten Reserven im
Hintertreffen hält, „a nice man" sozusagen.
Finde erst mal jemand für eine Stadt wie Berlin den repräsentativen Menschen,
für eine Stadt, die aus Gegensätzlichkeiten besteht, — die z. B. keinen Sinn für
Tradition und sich trotzdem für Tradition in anderen Städten, wie Paris und Lon-
don, besonders interessiert, eine Stadt, die gern ein bestimmter Typus sein möchte,
aber doch mit Wonne alles aufnimmt, was irgendwo in der Welt außerhalb ihrer
Mauern fabriziert wird, um es nach Gebrauch alsbald in den Mülleimer zu tun.
Eine Stadt, die in ihren meistgenannten Typen oft den Sinn für Humor in be-
merkenswertem Umfang vermissen läßt, und trotzdem jeden Tag von neuem
eine Unmenge komischen Stoffes „aus Eigenem" zutage fördert. Eine Stadt, die
bei der Vielfältigkeit ihres Ehrgeizes unausgeglichen sein muß, und die trotzdem
heute das Zentrum des Lebens in Europa ist, die Stadt der Mitte, wo sich alle
Linien schneiden, eine Stadt, weniger der planvollen Absicht, als vielmehr
des Rohmaterials.
Diese Stadt repräsentierte — soweit man überhaupt von Repräsentation einer
solchen Vielheit sprechen kann — Paul Levi, und zwar, was das einzige an
diesem Mann war: er repräsentierte sie nicht in ihren Schwächen, sondern in
ihrer Stärke. Dieser Mensch war, bei aller Vielseitigkeit, von einer genialen
Einheitlichkeit. Der Schlüssel zu dieser Veranlagung lag in seiner Tugend, die
das Gegenteil einer beliebten, besonders zeitgemäßen Berliner Untugend ist: er
hörte nämlich zu, war bei der Sache, wenn er sich unterhielt, und hatte diese
Anti-Schmus-Gesinnung, die es ihm verbot, alberne Redensarten zu machen und
ihn zwang, dem andern insgesamt zuzuhören und nicht mit % oder % Ohr, wie
cs hier gern und oft geübt wird. Man merkte in der Nähe dieses Menschen die
Aura seines starken Charakters, der ihn, wie das sämtliche Nachrufe bereits
festgestellt haben, verhinderte, zugunsten von Parteimaximen die eigene Per-
sönlichkeit zu unterdrücken. Ein lebendiger Vorwurf, auch jetzt noch, und zwar
jetzt erst recht, für alle die naiven Afficheure, die sich die Etikette einer radikalen
Partei an den Hut stecken und dadurch ihre Eigenschaft eines humorlosen Clowns
besonders deutlich machen. Der „Querschnitt" war stolz auf seine Mitarbeit.
Es war ein Mensch von einer geradezu runden Vollkommenheit, und deshalb
ist der Gedanke so absurd, daß er von einem Tag zum andern abtreten mußte.
H.v. W.
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