Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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Heft 4
DOI Artikel:Schönberg, Arnold: Mein Publikum
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MEIN PUBLIKUM
Von
ARNOLD SCHÖNBERG
Aufgefordert, über mein Publikum etwas zu sagen, müßte ich bekennen: ich
glaube, ich habe keines.
Zum Beginn meiner Laufbahn, wenn zum Ärger meiner Gegner ein beträcht-
licher Teil der Zuhörerschaft nicht zischte, sondern applaudierte; wenn es also
den Zischern nicht gelang, sich gegen die Mehrheit durchzusetzen, obwohl ja
Zischen auffallender klingt als Applaudieren: dann behaupteten diese meine Geg-
ner, die Beifallspender seien meine Freunde und hätten nur aus Freundschaft
applaudiert, nicht aber, weil ihnen das Stück gefallen hat. Meine armen Freunde:
so wenig es waren, so treu waren sie. Aber, hielt man sie zwar für verworfen
genug, meine Freunde zu sein, so doch nicht für so verworfen, daß ihnen meine
Musik gefallen könne.
Ob ich damals ein Publikum hatte, kann ich nicht beurteilen.
Nach dem Umsturz aber gab es in jeder Großstadt die gewissen paar hundert
jungen Leute, die gerade nichts mit sich anzufangen wußten und sich deshalb
bemühten, durch ein Bekenntnis zu allem, was nicht durchzusetzen ist, eine
Gesinnung zu dokumentieren. Damals, als dieses Wandelbare, diese Gesinnung,
auch mich einschloß, schuldlos einschloß, damals behaupteten Optimisten, nun
hätte ich ein Publikum. Ich bestritt es; denn ich begriff nicht, daß man mich über
Nacht sollte verstehen können, ohne daß, was ich geschrieben, inzwischen dümmer
oder flacher geworden wäre. Der baldige Abfall der Radikalisten, die noch immer
mit sich nichts, aber dafür mit anderen anzufangen wußten, gab mir recht: ich
hatte nichts Flaches geschrieben.
Daß das große Publikum wenig Beziehung zu mir hat, liegt an mancherlei
Ursachen. Vor allem: die Generäle, die noch heute das Musikdirektorium inne-
haben, bewegen sich im allgemeinen in Richtungen, in die die meinige nicht
hineinpaßt, oder fürchten, dem Publikum etwas vorzusetzen, das ihnen selbst
unverständlich ist. Manche (wenn sie es auch aus Höflichkeit mit Bedauern
zugeben) halten es in Wirklichkeit für einen ihrer Vorzüge, mich nicht zu ver-
stehen. Zugegeben sogar, daß es ihr größter ist, so mußte ich mich doch das
erstemal wundern, als mir ein Wiener Dirigent eröffnete, er könne meine Kammer-
symphonie nicht aufführen, weil er sie nicht verstehe. Aber es belustigte mich:
Warum mußte er gerade bei mir darauf versessen sein, zu verstehen, nicht aber
bei den klassischen Werken, die er unbedenklich jahraus-jahrein aufführte. Aber
im Ernst muß ich sagen: es ist dennoch keine Ehre für einen Musiker, eine Parti-
tur nicht zu verstehen, sondern eine Schande; was im Fall meiner Kammer-
symphonie vielleicht sogar manche meiner Gegner heute zugeben werden.
Neben diesen dirigierenden sind es die vielen zwar nicht dirigierenden aber
andersartig irreführenden Musiker, welche sich zwischen mich und das Publikum
stellen. Ich habe unzählige Male gesehen, daß es der Hauptsache nach nicht das
Publikum war, das gezischt hat, sondern eine kleine, aber rührige „sachverstän-
dige" Minorität. Das Publikum benimmt sich entweder freundlich oder teil-
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Von
ARNOLD SCHÖNBERG
Aufgefordert, über mein Publikum etwas zu sagen, müßte ich bekennen: ich
glaube, ich habe keines.
Zum Beginn meiner Laufbahn, wenn zum Ärger meiner Gegner ein beträcht-
licher Teil der Zuhörerschaft nicht zischte, sondern applaudierte; wenn es also
den Zischern nicht gelang, sich gegen die Mehrheit durchzusetzen, obwohl ja
Zischen auffallender klingt als Applaudieren: dann behaupteten diese meine Geg-
ner, die Beifallspender seien meine Freunde und hätten nur aus Freundschaft
applaudiert, nicht aber, weil ihnen das Stück gefallen hat. Meine armen Freunde:
so wenig es waren, so treu waren sie. Aber, hielt man sie zwar für verworfen
genug, meine Freunde zu sein, so doch nicht für so verworfen, daß ihnen meine
Musik gefallen könne.
Ob ich damals ein Publikum hatte, kann ich nicht beurteilen.
Nach dem Umsturz aber gab es in jeder Großstadt die gewissen paar hundert
jungen Leute, die gerade nichts mit sich anzufangen wußten und sich deshalb
bemühten, durch ein Bekenntnis zu allem, was nicht durchzusetzen ist, eine
Gesinnung zu dokumentieren. Damals, als dieses Wandelbare, diese Gesinnung,
auch mich einschloß, schuldlos einschloß, damals behaupteten Optimisten, nun
hätte ich ein Publikum. Ich bestritt es; denn ich begriff nicht, daß man mich über
Nacht sollte verstehen können, ohne daß, was ich geschrieben, inzwischen dümmer
oder flacher geworden wäre. Der baldige Abfall der Radikalisten, die noch immer
mit sich nichts, aber dafür mit anderen anzufangen wußten, gab mir recht: ich
hatte nichts Flaches geschrieben.
Daß das große Publikum wenig Beziehung zu mir hat, liegt an mancherlei
Ursachen. Vor allem: die Generäle, die noch heute das Musikdirektorium inne-
haben, bewegen sich im allgemeinen in Richtungen, in die die meinige nicht
hineinpaßt, oder fürchten, dem Publikum etwas vorzusetzen, das ihnen selbst
unverständlich ist. Manche (wenn sie es auch aus Höflichkeit mit Bedauern
zugeben) halten es in Wirklichkeit für einen ihrer Vorzüge, mich nicht zu ver-
stehen. Zugegeben sogar, daß es ihr größter ist, so mußte ich mich doch das
erstemal wundern, als mir ein Wiener Dirigent eröffnete, er könne meine Kammer-
symphonie nicht aufführen, weil er sie nicht verstehe. Aber es belustigte mich:
Warum mußte er gerade bei mir darauf versessen sein, zu verstehen, nicht aber
bei den klassischen Werken, die er unbedenklich jahraus-jahrein aufführte. Aber
im Ernst muß ich sagen: es ist dennoch keine Ehre für einen Musiker, eine Parti-
tur nicht zu verstehen, sondern eine Schande; was im Fall meiner Kammer-
symphonie vielleicht sogar manche meiner Gegner heute zugeben werden.
Neben diesen dirigierenden sind es die vielen zwar nicht dirigierenden aber
andersartig irreführenden Musiker, welche sich zwischen mich und das Publikum
stellen. Ich habe unzählige Male gesehen, daß es der Hauptsache nach nicht das
Publikum war, das gezischt hat, sondern eine kleine, aber rührige „sachverstän-
dige" Minorität. Das Publikum benimmt sich entweder freundlich oder teil-
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