Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0366
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Heft 4
DOI article:Antheil, George: Zurück zur romantischen Oper
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zur letzten Szene, dieser einen Szene, in der der Held schließlich die Frau wieder-
findet, die er einst unendlich geliebt hat. Sie ist eine Prostituierte geworden ...
Sie hat ihn verlassen, weil sie ihn zu sehr liebte und weil eine Halbheit sie quälte,
die sie nicht begreifen konnte. Vielleicht war sie sich dessen gar nicht bewußt,
aber nun wird es ihr klar. Der Mann, der ihr in seiner Liebe so oft die Ehe an-
geboten hat, bietet ihr hier, nach fünf Jahren, Geld als Hilfe an. Amerika. „Zu
spät", sagt sie, denn nichts kann ihr jetzt noch helfen. Vielleicht ist sie krank,
oder vielleicht hat ihr sein Angebot ihre letzte Illussion geraubt — auf jeden
Fall: es ist zu spät. — Ich habe sie beide zum Schluß in das amerikanische Paradies
der Arbeit, der Rechtschaffenheit und des Glücks versetzt. Über dieses Paradies
können sich die Europäer selbst ein Urteil bilden. „Transatlantic" bedeutet:
Leben jenseits des Atlantic, daher der Titel. Es ist eine Art Umriß des Lebens in
Amerika, und wodurch es bedingt ist. Vor diesem Hintergrund spielt nun die
Liebe zweier empfindsamer Menschen.
Und das Ergebnis ist, daß mich der neue Opernstil die ungeheure Bedeutung
der Liebeserfahrung auf musikalischem und theatralischem Gebiet erfassen und die
Tatsache erkennen leerte, daß die wahre neue Oper mit langem Haar und langen
Kleidern aufgeführt werden muß, und daß auch ein gewisses Element barbarischer
Naivität — wie ein verwundetes Reh — nicht fehlen darf. Nieder mit der alten
Operntechnik und ihren pedantisch placierten Arien und Chören und mit ihrer
ganzen hölzernen Algebra! Nieder mit der neuen Technik, die die alte Technik,
neu aufgemacht, wieder aufs Schild erhebt, die so ungeheuren Wert auf „pure"
theatralische Wirkung legt und damit das neue Publikum — das wichtige Publi-
kum der „nouveaux boulevards" — langweilt und verwirrt!
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findet, die er einst unendlich geliebt hat. Sie ist eine Prostituierte geworden ...
Sie hat ihn verlassen, weil sie ihn zu sehr liebte und weil eine Halbheit sie quälte,
die sie nicht begreifen konnte. Vielleicht war sie sich dessen gar nicht bewußt,
aber nun wird es ihr klar. Der Mann, der ihr in seiner Liebe so oft die Ehe an-
geboten hat, bietet ihr hier, nach fünf Jahren, Geld als Hilfe an. Amerika. „Zu
spät", sagt sie, denn nichts kann ihr jetzt noch helfen. Vielleicht ist sie krank,
oder vielleicht hat ihr sein Angebot ihre letzte Illussion geraubt — auf jeden
Fall: es ist zu spät. — Ich habe sie beide zum Schluß in das amerikanische Paradies
der Arbeit, der Rechtschaffenheit und des Glücks versetzt. Über dieses Paradies
können sich die Europäer selbst ein Urteil bilden. „Transatlantic" bedeutet:
Leben jenseits des Atlantic, daher der Titel. Es ist eine Art Umriß des Lebens in
Amerika, und wodurch es bedingt ist. Vor diesem Hintergrund spielt nun die
Liebe zweier empfindsamer Menschen.
Und das Ergebnis ist, daß mich der neue Opernstil die ungeheure Bedeutung
der Liebeserfahrung auf musikalischem und theatralischem Gebiet erfassen und die
Tatsache erkennen leerte, daß die wahre neue Oper mit langem Haar und langen
Kleidern aufgeführt werden muß, und daß auch ein gewisses Element barbarischer
Naivität — wie ein verwundetes Reh — nicht fehlen darf. Nieder mit der alten
Operntechnik und ihren pedantisch placierten Arien und Chören und mit ihrer
ganzen hölzernen Algebra! Nieder mit der neuen Technik, die die alte Technik,
neu aufgemacht, wieder aufs Schild erhebt, die so ungeheuren Wert auf „pure"
theatralische Wirkung legt und damit das neue Publikum — das wichtige Publi-
kum der „nouveaux boulevards" — langweilt und verwirrt!
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