erfüllten Gemach wie überanstrengt und künstlich aufgepumpt klingt. Die
Sprache des platten Lebens, bisher in der Enge verweht, jagt wie ein Orkan
über den Erdball; Eintagsfliegen sausen wie Riesenbrummer aeroplanknatternd
über unseren Häuptern; das Wellenreich des Universums wurde zu einer einzigen
Schulbank und Kritzelwand für die phonetische Spur des kleinen Erdenwichts.
Die Menschheit hat den Weltraum zu ihrem Grammophon erniedrigt. Was soll
da werden?. . . Geschriebenes und Gedrucktes, ja selbst Konterfeites zerbröckelt
zu unserem Trost; was heute Alexandrinische Bibliothek heißt, ist morgen ein
papier special. Aber die Stimme ist lebendige Energie. Sie kann nicht sterben,
sie verstärkt sich im Weltall, sie schwillt und kreist und tobt und —?
Die Begünstigung und Beschleunigung des Endes liegt bis auf weiteres
in den Händen der Funkdramaturgen. Sie sind die Mittler zwischen den Eintags-
fliegen und der Ewigkeit; ihre Wochenprogramme bauen sich auf dem Grund-
satz: den Tag in die Unendlichkeit hineinreden zu lassen und verhüte der Himmel!
nicht umgekehrt. Zu diesem Behufe laufen sie — wenn der Sendeort gar Berlin
heißt — mit dem Zeitungspapier um die Wette; schöpfen mit hitziger Hand
aus dem Kessel der Zeit immer das neueste Geräusch; kaufen dem Tag rasch
seine Fronten ab; salvieren sich durch Kontrastimmen, die keine sind. Und
betäuben mit der Flut von Rede-Papier — benannt als: Reportage, Improvisation,
Diskussion — das arme Ohr der Menschheit.
Aber indem sie das Radio so zu einer tönenden Schwester der Zeitung machen,
merken sie gar nicht, daß sie seine Erfindung unnütz werden lassen. (Ähnlich
wie die Film-Leute, die aus der Leinwand ein Theater machen.) Sie vergessen
damit ganz den Sinn der Erfindung. Dieser Sinn ist: die Entdeckung der Menschen-
stimme. So wie der Sinn des Films die Entdeckung des Menschengesichts war —
oder vielmehr: hätte sein sollen. Aber in der gleichen Art eben, wie dieser seiner
Bestimmung untreu wurde, hat das Radio die seine vergessen; und daher hier
wie dort das Mißverhältnis zwischen Apparatur und Geist, die niederdrückende
Erscheinung, welches Minimum an Wirklichkeit sich da eines Maximums an
Technik bedient. Der End-Effekt des Films: daß der riesengroße Kopf eines
Eintänzers (oder eines Mannequins) die Menschheit bis zum Verenden anäugt.
Effekt des Radios: das nämliche auf akustische Art. Und beide hätten sich, statt
zunächst das sogenannte „Reich der Kunst" zu annektieren, bloß auf das zu
beschränken brauchen, was ihnen lag, um sich zu erfüllen.
Gesicht und Geist ist dasselbe; Tonfall und Geist desgleichen. So wie Voltaire
aussah, konnte nur der Geist aussehen; so wie Mirabeaus Rede klang, konnte
nur der Geist klingen. Ihm mit tausend- und millionenfacher Verstärkung in
den Äther zu senden, hätte Sinn. Aber das Radio achtet so wenig auf die Stimmen
wie der Film auf die Physiognomien; es wählt nicht zwischen Tonfällen, sondern
zwischen Namen und Themen. Unbedenklich und in allen Variationen sendet
es den Tonfall der Gemeinheit ins Universum aus . . . und statt daß, sei es aus
eines Schauspielers Mund, der Erdgeist redet, schwingt sich, spuckend, zischelnd,
speichelnd, fettend der phonetische Dreikäsehoch auf unendliche Wellen.
Vom Berge Sinai herab darf nur Gottes Stimme schallen.
244
Sprache des platten Lebens, bisher in der Enge verweht, jagt wie ein Orkan
über den Erdball; Eintagsfliegen sausen wie Riesenbrummer aeroplanknatternd
über unseren Häuptern; das Wellenreich des Universums wurde zu einer einzigen
Schulbank und Kritzelwand für die phonetische Spur des kleinen Erdenwichts.
Die Menschheit hat den Weltraum zu ihrem Grammophon erniedrigt. Was soll
da werden?. . . Geschriebenes und Gedrucktes, ja selbst Konterfeites zerbröckelt
zu unserem Trost; was heute Alexandrinische Bibliothek heißt, ist morgen ein
papier special. Aber die Stimme ist lebendige Energie. Sie kann nicht sterben,
sie verstärkt sich im Weltall, sie schwillt und kreist und tobt und —?
Die Begünstigung und Beschleunigung des Endes liegt bis auf weiteres
in den Händen der Funkdramaturgen. Sie sind die Mittler zwischen den Eintags-
fliegen und der Ewigkeit; ihre Wochenprogramme bauen sich auf dem Grund-
satz: den Tag in die Unendlichkeit hineinreden zu lassen und verhüte der Himmel!
nicht umgekehrt. Zu diesem Behufe laufen sie — wenn der Sendeort gar Berlin
heißt — mit dem Zeitungspapier um die Wette; schöpfen mit hitziger Hand
aus dem Kessel der Zeit immer das neueste Geräusch; kaufen dem Tag rasch
seine Fronten ab; salvieren sich durch Kontrastimmen, die keine sind. Und
betäuben mit der Flut von Rede-Papier — benannt als: Reportage, Improvisation,
Diskussion — das arme Ohr der Menschheit.
Aber indem sie das Radio so zu einer tönenden Schwester der Zeitung machen,
merken sie gar nicht, daß sie seine Erfindung unnütz werden lassen. (Ähnlich
wie die Film-Leute, die aus der Leinwand ein Theater machen.) Sie vergessen
damit ganz den Sinn der Erfindung. Dieser Sinn ist: die Entdeckung der Menschen-
stimme. So wie der Sinn des Films die Entdeckung des Menschengesichts war —
oder vielmehr: hätte sein sollen. Aber in der gleichen Art eben, wie dieser seiner
Bestimmung untreu wurde, hat das Radio die seine vergessen; und daher hier
wie dort das Mißverhältnis zwischen Apparatur und Geist, die niederdrückende
Erscheinung, welches Minimum an Wirklichkeit sich da eines Maximums an
Technik bedient. Der End-Effekt des Films: daß der riesengroße Kopf eines
Eintänzers (oder eines Mannequins) die Menschheit bis zum Verenden anäugt.
Effekt des Radios: das nämliche auf akustische Art. Und beide hätten sich, statt
zunächst das sogenannte „Reich der Kunst" zu annektieren, bloß auf das zu
beschränken brauchen, was ihnen lag, um sich zu erfüllen.
Gesicht und Geist ist dasselbe; Tonfall und Geist desgleichen. So wie Voltaire
aussah, konnte nur der Geist aussehen; so wie Mirabeaus Rede klang, konnte
nur der Geist klingen. Ihm mit tausend- und millionenfacher Verstärkung in
den Äther zu senden, hätte Sinn. Aber das Radio achtet so wenig auf die Stimmen
wie der Film auf die Physiognomien; es wählt nicht zwischen Tonfällen, sondern
zwischen Namen und Themen. Unbedenklich und in allen Variationen sendet
es den Tonfall der Gemeinheit ins Universum aus . . . und statt daß, sei es aus
eines Schauspielers Mund, der Erdgeist redet, schwingt sich, spuckend, zischelnd,
speichelnd, fettend der phonetische Dreikäsehoch auf unendliche Wellen.
Vom Berge Sinai herab darf nur Gottes Stimme schallen.
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