Majakowski ist tot.
Wladimir Majakowski hat sich umgebracht, kaum 39 Jahre alt. Wie
unglücklich muß seine Lage gewesen sein, daß Majakowski, der den Selbstmord
Jessenins verurteilt hatte, Hand an sich legte!
Es ist hier nicht der Platz, ausführlich zu untersuchen, warum Wladimir
Majakowski ein Dichter war, der ganz andere Forderungen an die Poesie stellte
als die meisten westeuropäischen Dichter. Obwohl er vom Futurismus herkam,
hat die Revolution ihn sofort in die Reihen der Arbeiter geführt. Hundert-
prozentig hat er diese Revolution bejaht vom ersten Tage ihres Ausbruchs
bis zum letzten seines Lebens. Unaufhörlich hat er sein gewaltiges lyrisches
Talent bewußt und uneingeschränkt in den Dienst der Sache gestellt und auch
Spießertum und Bürokratismus bekämpft, wo er nur die Gelegenheit dazu
fand. Als erst kürzlich in Moskau die „Revolutionäre Front" der Sowjet-
Russischen Literatur gegründet wurde, war er sofort dabei, um leidenschaftlich
die These zu vertreten, daß ein Dichter nur noch im Dienst der Tagespolitik
Bedeutung hat. Man soll die Frage, was von seinen Werken bleiben wird, auch
bei Majakowski unterlassen. Entscheidend war auch hier nur die Wirkung,
die er auf seine Zeit und die Menschen um ihn ausgeübt hat. Und die war
ungeheuer. Er verstand es, Sachen, die man viele Male gesehen hat, so hin-
zustellen, daß sie neu erschienen, er beherrschte das Wort und den Wortschatz
als ein kühner Meister, der nach eigenen Gesetzen arbeitet, unabhängig davon,
ob uns seine Meisterschaft gefällt oder nicht. Er hatte seinen eigenen Aufbau,
seinen Rhythmus, seinen Reim, zog sowohl den Krieg wie die Revolution, das
Paradies und die Hölle in seinen Bereich ein, stand immer der Mystik feindlich
gegenüber, der Ausbeutung von Menschen durch Menschen. Kunstpriestertum
war ihm selbstverständlich vollkommen fremd. Sein Epos „150 Millionen" —
sicherlich nicht seine stärkste Arbeit — wurde in Deutschland durch die Ueber-
setzung von Joh. R. Becher bekannt. Sie war der Anlaß zu einem großen
Essay von Trotzki, worin sich dieser mit dem russischen Futurismus ausein-
andersetzte. Im Jahre 1920 schrieb Majakowski sein „Mysterium Buff", das
von Meyerhold und Granowsky aufgeführt wurde und dessen politische und
dramatische Formen mit der alten Theatertradition brachen. Acht Jahre später
folgte „Die Wanze", eine satirische Komödie, die gegen das Spießertum ge-
richtet ist, und jetzt vor kurzem seine dritte dramatische Arbeit „Das Bad",
die scharfe Spitzen gegen bürokratische Zustände enthält.
Ich erinnere mich meiner ersten Begegnung mit Majakowski 1922 im Hause
von Brik, des Führers der „Lef-Gruppe". Ein auffallend großer Mann mit
knochigem, unsentimentalem Gesicht, unedel im Ausdruck, aber erfrischend
saß auf dem Boden: Majakowski. Er kolorierte Plakate für die Bauern, in
denen sie aufgefordert wurden, ihre Stuben besser zu lüften. Jedesmal, wenn
ein Plakat fertig war, versah er es mit einem zweizeiligen Vers. Er war eben
von einer längeren Reise durch die Sowjetunion zurückgekehrt und erzählte,
welch begeisterte Aufnahme seine Dichtungen, die er selbst in Fabriken und
bei Bauern vorgetragen hat, gefunden hatten. „Ich werde schon die Formen
finden, die diesen 150 Millionen entsprechen", sagte er mir damals.
Dieser Wladimir Majakowski war ein Dempsey der Poesie, ein Zigeuner
der Revolution, ein großer Trommler der Zukunft. Vielleicht war er manchmal
als Dichter zu sehr berauscht, vielleicht war sein Blick manchmal nicht einsichts-
voll genug. Dies aber soll und kann hier nicht entschieden werden. Ein großer
Trommler ist gestorben. Nico Rost.
326
Wladimir Majakowski hat sich umgebracht, kaum 39 Jahre alt. Wie
unglücklich muß seine Lage gewesen sein, daß Majakowski, der den Selbstmord
Jessenins verurteilt hatte, Hand an sich legte!
Es ist hier nicht der Platz, ausführlich zu untersuchen, warum Wladimir
Majakowski ein Dichter war, der ganz andere Forderungen an die Poesie stellte
als die meisten westeuropäischen Dichter. Obwohl er vom Futurismus herkam,
hat die Revolution ihn sofort in die Reihen der Arbeiter geführt. Hundert-
prozentig hat er diese Revolution bejaht vom ersten Tage ihres Ausbruchs
bis zum letzten seines Lebens. Unaufhörlich hat er sein gewaltiges lyrisches
Talent bewußt und uneingeschränkt in den Dienst der Sache gestellt und auch
Spießertum und Bürokratismus bekämpft, wo er nur die Gelegenheit dazu
fand. Als erst kürzlich in Moskau die „Revolutionäre Front" der Sowjet-
Russischen Literatur gegründet wurde, war er sofort dabei, um leidenschaftlich
die These zu vertreten, daß ein Dichter nur noch im Dienst der Tagespolitik
Bedeutung hat. Man soll die Frage, was von seinen Werken bleiben wird, auch
bei Majakowski unterlassen. Entscheidend war auch hier nur die Wirkung,
die er auf seine Zeit und die Menschen um ihn ausgeübt hat. Und die war
ungeheuer. Er verstand es, Sachen, die man viele Male gesehen hat, so hin-
zustellen, daß sie neu erschienen, er beherrschte das Wort und den Wortschatz
als ein kühner Meister, der nach eigenen Gesetzen arbeitet, unabhängig davon,
ob uns seine Meisterschaft gefällt oder nicht. Er hatte seinen eigenen Aufbau,
seinen Rhythmus, seinen Reim, zog sowohl den Krieg wie die Revolution, das
Paradies und die Hölle in seinen Bereich ein, stand immer der Mystik feindlich
gegenüber, der Ausbeutung von Menschen durch Menschen. Kunstpriestertum
war ihm selbstverständlich vollkommen fremd. Sein Epos „150 Millionen" —
sicherlich nicht seine stärkste Arbeit — wurde in Deutschland durch die Ueber-
setzung von Joh. R. Becher bekannt. Sie war der Anlaß zu einem großen
Essay von Trotzki, worin sich dieser mit dem russischen Futurismus ausein-
andersetzte. Im Jahre 1920 schrieb Majakowski sein „Mysterium Buff", das
von Meyerhold und Granowsky aufgeführt wurde und dessen politische und
dramatische Formen mit der alten Theatertradition brachen. Acht Jahre später
folgte „Die Wanze", eine satirische Komödie, die gegen das Spießertum ge-
richtet ist, und jetzt vor kurzem seine dritte dramatische Arbeit „Das Bad",
die scharfe Spitzen gegen bürokratische Zustände enthält.
Ich erinnere mich meiner ersten Begegnung mit Majakowski 1922 im Hause
von Brik, des Führers der „Lef-Gruppe". Ein auffallend großer Mann mit
knochigem, unsentimentalem Gesicht, unedel im Ausdruck, aber erfrischend
saß auf dem Boden: Majakowski. Er kolorierte Plakate für die Bauern, in
denen sie aufgefordert wurden, ihre Stuben besser zu lüften. Jedesmal, wenn
ein Plakat fertig war, versah er es mit einem zweizeiligen Vers. Er war eben
von einer längeren Reise durch die Sowjetunion zurückgekehrt und erzählte,
welch begeisterte Aufnahme seine Dichtungen, die er selbst in Fabriken und
bei Bauern vorgetragen hat, gefunden hatten. „Ich werde schon die Formen
finden, die diesen 150 Millionen entsprechen", sagte er mir damals.
Dieser Wladimir Majakowski war ein Dempsey der Poesie, ein Zigeuner
der Revolution, ein großer Trommler der Zukunft. Vielleicht war er manchmal
als Dichter zu sehr berauscht, vielleicht war sein Blick manchmal nicht einsichts-
voll genug. Dies aber soll und kann hier nicht entschieden werden. Ein großer
Trommler ist gestorben. Nico Rost.
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