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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 6
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Aldanov, Mark A.: Pilsudskis Aufstieg[1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0549

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Pascin

schließlich zuwege, sich mit Dmowski zu einigen. Am 21. Dezember 1918 wandte
sich das Staatsoberhaupt an seinen alten Widersacher mit einem Schreiben, in dem
er ihm vorschlug, „die Interessen der Parteien, Gruppen und Vereinigungen zu
vergessen und sich mit ihm zum Schutz der nationalen Interessen Polens zu ver-
einigen". Der Vorschlag wurde, wenn auch nicht sofort und nicht leicht, aber
doch angenommen. Lassen wir ihnen Gerechtigkeit widerfahren: die bekanntlich
ewig streitsüchtigen Polen hatten im entscheidenden Augenblick Patriotismus
und Verstand dokumentiert. Dmowski erkannte Pilsudski als das Staatsoberhaupt
an; Pilsudski Dmowski — als Polens Delegierten auf der Friedenskonferenz. Als
Ergebnis dieses Vertrages wurde in Warschau eine mehr oder weniger neutrale
Regierung gebildet: beide Parteien einigten sich auf Paderewski. Die Profession
des berühmten Pianisten gab Anlaß zu vielen Scherzen, doch im Grunde war er
damals der geeigneteste von allen in Betracht kommenden Kandidaten.
Pilsudski hatte die schwierige Partie glänzend gewonnen. Die Triumvirn fanden
sich mit der Tatsache ab. Clemenceau dachte: Pilsudski hat wohl auf deutscher
Seite gekämpft, aber auch Haller hat früher auf dieser Seite gefochten. Sich mit
der englischen und amerikanischen Regierung zu einigen, ging noch leichter.
Wilson stand über allem, nebenbei hatte er selbst im Januar 1915 Kaiser Wilhelm
zu seinem Geburtstag ein Glückwunschtelegramm gesandt. Lloyd George wußte
vermutlich gar nicht, wer Pilsudski eigentlich war, und wenn er es doch wußte,
dann ließ ihn die politische Vergangenheit des polnischen Staatsoberhauptes
völlig gleichgültig.
Er hatte sein Ziel erreicht. Polen war wiederhergestellt. Dank seiner un-
gewöhnlichen Energie und besonders dank seinem ungewöhnlichen Glück wurde
Pilsudski der Führer des wie durch ein Wunder auferstandenen Reichs, sein
Nationalheld. Auf Pilsudski passen die Worte Labruyeres „il n'est pas permis de
rever comme il a vecu" weit mehr als auf den Herzog Lauzun.
(Deutsch von R. v. Campenhausen) (Ein zweiter Aufsatz folgt)

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