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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 6
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Galahad: Die Sitten von Eton: oder Pindar und Peitsche
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0574

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wie ein Pfefferkörnchen. Nahm jetzt Rache für mancherlei Unbill, fabrizierte
herrlich gebaute Strophen, doch beispiellos unflätigen Inhalts. Der Lehrer, erst
starr über solche Frechheit, frug dann den langen Lackel sehr ernst, ob er wirklich
diese Verse geschrieben habe. Der glaubte seine Urheberschaft bei Verwendung so
seltener Vokabeln, die er gar nicht kapiert hatte, angezweifelt, beteuerte aufs
eindringlichste, daß er der Autor sei, und war baß erstaunt über die desaströse
Wirkung, gab dann natürlich den „fag" an, der auch bestraft wurde, zugleich aber
bewundert und von allen Klassen als Sieger geehrt.
Lange sich steigernder Groll wird schließlich meist abreagiert in einem for-
mellen Boxkampf zwischen den Gegnern, dem die beiderseitigen Anhänger als
Schiedsrichter beiwohnen. Nächsten Tags geschwollene Lippen oder ein blaues
Auge zu bemerken, gälte bei Lehrern für schlechte Form. Sie sind keine „Herden-
herren", die Schüler keine Herde, beide Teile bilden vielmehr eine aristokratische
Republik, in der alles natürlich, somit streng dem inneren Rang nach sich zu
stufen hat. Dieser Wohlordnung, jedem seine Stelle zu finden, dient auch das
Boxen. Wer mit einem andern eine halbe Stunde lang bis zur letzten Erschöpfung
sportlich gekämpft hat, weiß mehr über ihn als in Jahren gemeinsamen Büro-
hockens; Sport treiben heißt ja, ethisch gewertet, soviel wie nach ungeschriebe-
nen Gesetzen mit dem ganzen Körper automatisch sauber handeln lernen. Spiel,
„nur" Spiel hat die wundervolle Weltregel geschaffen, daß stets „the better man",
der bessere Mann, auch als Gegner neidlos zu bejahen sei. Neidlos, das gibt Stil.
Achtung. Anstand. Zivilcourage. Mit einem Wort: das Gentlemanideal.
Nach altem Herkommen waren früher in englischen Schulen außer Körper-
kultur nur Latein, Griechisch, Mathematik und Geschichte obligat. Alle Fach-
studien blieben dem Privatunterricht und Privatfleiß überlassen. Das hat sich
natürlich geändert; die klassischen Sprachen bleiben aber nach wie vor dominant,
weil englische Prosa so praktisch primitiv gebaut ist, daß übergeordnete junge
Geister eine reicher gegliederte Syntax als Denkfeld und Bildungskomponente
brauchen. So können nicht wenige dieser hochbeinigen Athleten, im Frieden der
Studierstube voll Kletterrosen- und Pfeifengeruch, Pindarsche Oden ihren Matches
schreiben. Dann liegt auf den schmalen Rasseköpfen mit den edel eingeschweiften
Schläfen der feinste, ganz zweckfrei gewordene Geistesglanz.
„Na also, da hat man's ja, nichts Brauchbares wird in diesen Colleges gelernt",
sagt der Chor ihrer Kritiker. Die hier inkarnierten Lebenswerte bilden eben Welt-
leute, nicht Fachleute, sind daher direkt „in cash" nicht umsetzbar, wie das, was
amerikanische Schnellsiederkurse verabfolgen. Um ein Imperium zu verwalten
aber bedarf es der Weltgültigen; fällt das „Reich" einmal dahin, dann allerdings mit
ihm auch diese letzte weißgoldene Aristokratie. Ganze Menschen müssen dann
auch hier zu Spezialisten verschrumpfen, denn die Wirtschaft hat, nach einem
Rathenauschen Wort, an einem ganzen Menschen zuviel „Lagerverlust". Ein paar
besonders gut ausgefahrene Nervenbahnen, ein linkes Ohr, eine rechte Hand sind
leichter in sie einzufügen und öfter auswechselbar.
In dem Maß, als der Kern der englischen Nation zerschmilzt, schmelzen auch
diese Inseln höheren Lebens langsam ab, die er in seinen Schulen durch fünf Jahr-
hunderte geformt, während ganz fern, überall an der Peripherie des Planeten Erde,
in Wellen angespült, sein Wesen unverlierbar weiterwirkt.

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