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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 6
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Keller, Rudolf: Kommunismus der Vorväter
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0585

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Aaron unter Todesdrohungen von der Volksmenge gezwungen, aus gesammeltem
Gold ein Kalb zum Zwecke der Anbetung aufzustellen. Auf die Vorwürfe Mosis'
sagt er: „Sie hätten mich getötet, wenn ich nicht das Kalb hergestellt hätte. Sollte
ich fassen, daß außer Götzendienst auch noch Mord sie beflecke ?" Nein, er hat die neue,
schwerere Sünde nicht zugelassen! Aber kann ein noch so naturalistischer Dichter
diesen Notschrei einer frommen Seele ganz erfunden haben? Es muß irgendeine
tatsächliche Grundlage dieses Berichtes vorhanden gewesen sein.
Die Ergebnisse der Hieroglyphenforschung lassen sich dahin deuten, daß die
altägyptische Produktionsform eher eine kommunistische als eine individualistische
gewesen ist und daß die späteren Gesellschaftsformen in Palästina, in Griechen-
land, in Arabien, sich mehr der Privatwirtschaft, dem vererbbaren Eigentum
genähert haben. Die Moses zugeschriebenen Schriften, die durch Generationen
von Priestern weitergegeben wurden, sind erfüllt von der Idee des einzigen, eifer-
süchtigen, rachsüchtigen Gottes, der sich in gasförmigem Aggregatzustand prä-
sentiert im Gegensatz zu den in festem Aggregatzustand auftretenden Göttern
der Ägypter und Babylonier, aber trotz dieses Überwucherns einer religiösen Vor-
stellung sind die Brüder Mosis eine einzige Streitschrift für die Wichtigkeit des
Privateigentums, des Erbrechtes, der Erbpacht, die im Jubeljahre an die Kinder
zurückfallen muß, auch wenn die Hypotheken des Vorfahren nicht bezahlt worden
sind. Eine solche monomanische Verherrlichung des Privatbesitzes und der Ver-
erbbarkeit liegt dem ägyptischen Vorstellungskreis ganz fern. Der Schieber Korah,
der sich schon in Ägypten ein Vermögen erworben hat, sieht sich gezwungen,
dieses unter einem Bauwerk an einem geheimen Ort zu verstecken. Offenbar erlaubt
der damalige Stalin-Pharao nicht, Privateigentum der Nep-Kaufleute zu besitzen
oder zu verwerten.
Die Situation in Altägypten war umgekehrt wie bei uns. Die Ordnungsparteien,
die Konservativen, waren offenbar die Kommunisten, auf ihrer Seite die als
Hierarchie etablierte Priesterschaft, während die revolutionär gesinnten Sklaven,
und zwar nicht bloß die Hebräer, sondern auch die anderen Knechtvölker, indivi-
dualistisch gesinnt waren, nach heutigem Sprachgebrauch also kapitalistisch. Sie
wollten sich in Kanaan als kleine Bauern privatunternehmerisch selbständig
machen. Sie hatten allen Grund zu Beschwerden über die Gewalttätigkeit und den
Machtmißbrauch der herrschenden Klassen. Der aus der Bibel bekannte Streit
zwischen dem ägyptischen Arbeitsvogt und dem Sklaven wird in der Über-
lieferung folgendermaßen wiedergegeben: „Der Hebräer Dathan hatte ein Weib,
Sulamith, das sehr schön war, und der Aufseher Maror trug Gelüst nach ihr. Eines
Nachts kam er, ließ Dathan in Ketten legen und genoß vor seinen Augen die
Schönheit Sulamiths. Moses sah dieses Unrecht und wurde zornig in seiner Seele;
und als Maror seine Peitsche über Dathan erhob, tötete er ihn."
Eine Parallele zu den heutigen Verhältnissen liegt darin, daß die Anbeter des
einzigen Gottes sich rühmen, ein sittenstrenges Familienleben zu führen, während
den Götzendienern freie Liebe, Unsittlichkeit und wahllose Vermischung zu-
geschrieben wird. Also auch die freie Liebe ist keineswegs das geistige Eigentum
der heutigen Kommunisten, sondern blickt auf eine recht ehrwürdige Vergangen-
heit zurück. Die Geschichte der späteren Könige von Israel zeigt, daß nach dem
Siege der Einzelwirtschaft keineswegs Sittenstrenge das Hauptkennzeichen des

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