Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#1034
DOI issue:
Heft 10
DOI article:Schneit, Bastian: Ein Hofmaler geht nach Amerika
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BESUCH IN DEN AUSSTELLUNGSRÄUMEN DES
HOFMALERS
Unter den Linden 24. Der Fahrstuhl funktioniert nicht. Die Treppen sind lang-
weilig. Aber gleich wirds interessant. Auf dem letzten Podest leuchtet ein Kolossal-
gemälde: Wilhelm II. und Hindenburg. Nebenan, zwischen zwei verschlossenen
Türen: Kaiserin Auguste Victoria mit Gefolge. Von der Türe links grüßt ein
sinniges Schnitzwerk: Ein Engel hält ein Netz. Darunter antikisierte Schrift:
„Gott segne das Handwerk der Fischer."
Ich habe mich lange Zeit nicht hierher getraut. Stets lag für mich etwas von
einem verwunschenen Schloß um dies Treppenhaus. In Gedanken sah ich in den
Ausstellungsräumen verstaubte Ritterrüstungen, deren Augen lebendig spielten,
weil ein Spion dahinter die Kritik der Beschauer notierte. Meine Vorstellungen
spielten mit Tapetentüren, elektrischen Stühlen, Geistermolchen und phosphori-
sierenden Fischaugen, knackenden Bilderrahmen und geheimen Falltüren.
Es ist nicht so schlimm. Eine weißbekittelte Dame öffnet mir die Tür und
behütet mich während der halben Stunde, in der ich zitternd — halb vor aber-
gläubischer Angst, halb vor Ergriffenheitsschauern — die Prachträume des Hof-
malers betrachte. Die Prachträume sind keine Räume. Von Wänden und Decken
kaum etwas zu sehn. Der Fußboden kann leider nur mit Teppichen belegt werden.
Im übrigen: Eine prächtige Ansammlung der eigentümlichsten Verwinkelungen
durch „Gemälde" und „Kunstschätze". Doch! Im ersten Raum sieht man die
Glasdecke durch ein Gewirr geschnitzter Jugendstile. Und dicht unter dem
schmutziggrauen Glasdach ist von den unsichtbaren Wänden her ein Spinnetz
aus Draht gespannt. Herrliche gemütschmelzende Bilder, wie farbenspielende
Fotografie. Alles wesenlos, nichts hinter der Farbe. Aber „schön". Und ge-
schmeichelt. Geschäft. Im zweiten Saal umkränzt die Decke eine unendliche Reihe
gerahmter Porträts der Berühmten von Goethe über Freiligrath und Beethoven
bis Moltke. Gleich am Eingang verstaubt das „Goldene Buch" mit garantiert
2000 lobenden Anerkennungen zwischen zwei holzgeschnitzten Säulen, die von
einer ärmlichen elektrischen Birne gekrönt werden. Im Hintergrund ein myste-
riöses Gestell: „Eingang zur Orgel, zum Harem mit den asiatischen Sammlungen
und zur gotischen Kapelle."(?) Auf dem Kamin ein Stapel von Sherlock-Holmes-
Geheimnissen. Alte Bücher, von Schwertern durchstochen, alte Druckblätter. Ich
lese ein Datum: „Anno 1922". Und da steht ein wirklich rührendes Bild: Soldat
in Uniform hinter einer Gardine, die ein weinendes Mädchen zur Hälfte hebt.
Darunter der herzbrechende Spruch:
Der Liebe und der Sehnsucht Pein
Erleichtert nur sein Bild allein.
Auf staubigen Regalen Miniaturporträts auf Emaille und Porzellan.
„Sind diese Werke auf Bestellung entstanden?"
„Nein, nur für Ausstellungen."
„Wieviele Porträts sind das hier, wenn ich fragen darf?"
„Zweihundert."
Der weiße Kittel führt mich zum Meister selbst.
678
HOFMALERS
Unter den Linden 24. Der Fahrstuhl funktioniert nicht. Die Treppen sind lang-
weilig. Aber gleich wirds interessant. Auf dem letzten Podest leuchtet ein Kolossal-
gemälde: Wilhelm II. und Hindenburg. Nebenan, zwischen zwei verschlossenen
Türen: Kaiserin Auguste Victoria mit Gefolge. Von der Türe links grüßt ein
sinniges Schnitzwerk: Ein Engel hält ein Netz. Darunter antikisierte Schrift:
„Gott segne das Handwerk der Fischer."
Ich habe mich lange Zeit nicht hierher getraut. Stets lag für mich etwas von
einem verwunschenen Schloß um dies Treppenhaus. In Gedanken sah ich in den
Ausstellungsräumen verstaubte Ritterrüstungen, deren Augen lebendig spielten,
weil ein Spion dahinter die Kritik der Beschauer notierte. Meine Vorstellungen
spielten mit Tapetentüren, elektrischen Stühlen, Geistermolchen und phosphori-
sierenden Fischaugen, knackenden Bilderrahmen und geheimen Falltüren.
Es ist nicht so schlimm. Eine weißbekittelte Dame öffnet mir die Tür und
behütet mich während der halben Stunde, in der ich zitternd — halb vor aber-
gläubischer Angst, halb vor Ergriffenheitsschauern — die Prachträume des Hof-
malers betrachte. Die Prachträume sind keine Räume. Von Wänden und Decken
kaum etwas zu sehn. Der Fußboden kann leider nur mit Teppichen belegt werden.
Im übrigen: Eine prächtige Ansammlung der eigentümlichsten Verwinkelungen
durch „Gemälde" und „Kunstschätze". Doch! Im ersten Raum sieht man die
Glasdecke durch ein Gewirr geschnitzter Jugendstile. Und dicht unter dem
schmutziggrauen Glasdach ist von den unsichtbaren Wänden her ein Spinnetz
aus Draht gespannt. Herrliche gemütschmelzende Bilder, wie farbenspielende
Fotografie. Alles wesenlos, nichts hinter der Farbe. Aber „schön". Und ge-
schmeichelt. Geschäft. Im zweiten Saal umkränzt die Decke eine unendliche Reihe
gerahmter Porträts der Berühmten von Goethe über Freiligrath und Beethoven
bis Moltke. Gleich am Eingang verstaubt das „Goldene Buch" mit garantiert
2000 lobenden Anerkennungen zwischen zwei holzgeschnitzten Säulen, die von
einer ärmlichen elektrischen Birne gekrönt werden. Im Hintergrund ein myste-
riöses Gestell: „Eingang zur Orgel, zum Harem mit den asiatischen Sammlungen
und zur gotischen Kapelle."(?) Auf dem Kamin ein Stapel von Sherlock-Holmes-
Geheimnissen. Alte Bücher, von Schwertern durchstochen, alte Druckblätter. Ich
lese ein Datum: „Anno 1922". Und da steht ein wirklich rührendes Bild: Soldat
in Uniform hinter einer Gardine, die ein weinendes Mädchen zur Hälfte hebt.
Darunter der herzbrechende Spruch:
Der Liebe und der Sehnsucht Pein
Erleichtert nur sein Bild allein.
Auf staubigen Regalen Miniaturporträts auf Emaille und Porzellan.
„Sind diese Werke auf Bestellung entstanden?"
„Nein, nur für Ausstellungen."
„Wieviele Porträts sind das hier, wenn ich fragen darf?"
„Zweihundert."
Der weiße Kittel führt mich zum Meister selbst.
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