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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 11
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Aleramo, Sibilla: Die italienische Frau
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#1097
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worden. Das langentbehrte Familienleben, die fürchterlichen Leiden des Krieges,
hatten in den Männern den früher so ausgeprägten Instinkt der Eifersucht stark
gemildert, wenn nicht gar erstickt. Allem Anschein nach gewöhnten sie sich
ganz gut an ihre neuen Gefährtinnen und die kecke Leichtigkeit dieser aus dem
Käfig entschlüpften Vögel, die jedoch zu weiten Flügen weder fähig noch ge-
willt waren.
Seitdem Mussolini da ist, prägen sich die Linien eines neuen Typus immer
schärfer aus. Ein wenig zögernd, etwas opponierend sieht man die neue
Italienerin entstehen — neu und doch im Alten wurzelnd. Der Faschismus, der
die Mutterschaft unterstützt, ist vor allem bestrebt, die weiblichen Massen ihrer
ursprünglichen Aufgabe als Erhalterin der Art wieder zuzuführen. Außerdem
läßt er den jungen Generationen eine vollendete physische Kultur zuteil werden.
Er hat es durchgesetzt, daß auch die Mädchen in den großen Städten heran-
wachsen können unter Wahrung der herrlichen Güter ihrer Rasse. Die Kraft
und Schönheit dieser Güter bewunderten wir in dem unvergeßlichen historischen
Festzug, der aus Anlaß der Hochzeitsfeierlichkeiten des Kronprinzen die Straßen
Roms durchzog. Natürlich sind diese sportgestählten Mädchen mit ihrem ge-
sunden Gleichgewicht den Anforderungen des Lebens ganz anders gewachsen
als ihre Schwestern von früher. Sie sind sicherlich weniger sentimental, aber auch
weniger frivol, sachlicher, disziplinierter. Eine solche Basis ermöglicht jetzt die
weitaus schwierige Erneuerung des Geistes. In den Lyzeen und in den Uni-
versitäten steigert sich der Besuch der Frauen in imponierender Weise. Zu
Korporationen und Organisationen zusammengeschlossen, wissen sie gleich der
Arbeiterin ihren Beruf und ihre Interessen geschützt.
Und doch hat ihnen Mussolini weder das Wahlrecht, was sie in einem gewissen
Augenblick schon erreicht zu haben glaubten, noch den Zutritt zur Verwaltung
zugestanden, ebensowenig wie sie eine neue Fassung des römischen Scheidungs-
rechtes durchsetzten. Auch hat er den Frauen den Besuch der Akademie,
die von ihm gegründet wurde, nicht gestattet, obwohl er bei mehr als einer
Gelegenheit betont hat, daß wenigstens drei oder vier Schriftstellerinnen Italiens
durchaus berechtigt seien, zu ihren Mitgliedern zu zählen. Wirkliche Künstle-
rinnen bewundert und unterstützt er nachdrücklich. Sind das Widersprüche?
Vielleicht blickt Mussolini in die Zukunft und wartet, um die öffent-
lichen Beweise der Dankbarkeit aufzusparen bis zu dem Augenblick, wo der
geistige Typus der italienischen Frau ebenso ausgesprochen und unverkennbar
sein wird wie der populäre Typus, von dem ich zu Beginn meines Artikels
sprach. Die Vorbedingungen sind gegeben. In den Zeiten der Sklaverei wie
auch in denen schrankenlosester Freiheit, im 14. ebenso wie im 18. Jahrhundert,
immer hat die Italienerin jeder Gesellschaftsschicht beneidenswerte Beweise von
Güte, Intuition, Inbrunst und Ausdauer gegeben. Das, was ihr stets fehlte, ist —
wie schon gesagt — die Bewußtheit ihres eigenen Wertes. Heute offenbart sich,
wenn auch noch schüchtern, im ganzen Reiche, von Mailand bis Palermo, eine
Solidarität der Frauen, eine gemeinsame Sehnsucht, sich der neu errungenen
Freiheiten würdig zu erweisen, durch das Streben nach höheren Gütern, die, im
Bereich des Hauses und der Gesellschaft beheimatet, nicht materiell oder ober-
flächlich, sondern innerlich und unverlierbar sind.

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