In der Piazza San Silvestro (wo sich die Hauptpost befindet), hielt ich einen
Augenblick an, um einen Trupp Parlamentsmitglieder vorbeizulassen, die den
Platz überquerten. Sie schritten tapfer fürbaß.
Im Telegraphenamt wartete eine lachende und schwatzende Menge vor einer
endlosen Reihe von Schaltern. Einer der Schalter trug die Aufschrift „Liebes-
telegramme". Hier erkannte ich ein paar der Mädchen wieder, die ich in der
Katakombe gesehen hatte. Doch das, mit dem ich getanzt, war nicht dabei. Ich
seufzte, gab ein halbes Dutzend Liebestelegramme auf und schickte mich an,
in der Stadt umherzuschlendern.
*
Rom ist unter dem Zeichen der Sonne und des Adlers geboren. Ströme von
Sonne durchflossen die Luft, an den Dämmen der Häusersimse entlang. Güsse
Lichtes stürzten zuweilen herunter, schlugen auf dem Pflaster auf und sprangen
zurück in die juwelenüberhäuften Schaukasten der Läden. Männer und Frauen
ergingen sich ohne Hast. An einer Kreuzung der Via del Tritone entwirrte sich
ein üppiges Knäuel roter und schwarzer Autos gleich einem Knoten erwachender
Schlangen. Von Zeit zu Zeit überquerte ein Adler den Himmel, von den
Schlägen der Sonne verfolgt.
Als die Konturen der Häuser golden erglänzten, zog unter klingendem Spiel
die Ablösung der Leibwache zum Quirinal. Die Sonne wartete entblößten Hauptes,
bis der Aufzug vorüber war, dann sank sie in ein schwarzes Bett aus Pinien. Da
hüben alle Steine Roms zu singen an, und die Straßen füllten sich mit Wohl-
gerüchen.
*
Plötzlich merkte ich, daß ich meinen„Tipo-Monza"nicht mehr hatte. Der Name
der Katakombe war mir entfallen. Da und dort strich ich noch in Winkelgäßchen
herum. Patrouillen schwarzer Katzen machten die Runde und überwachten die
Ausgänge der Sackgassen. Bei einer erleuchteten Pforte sah ich eine Treppe, die
in die Tiefe führte. Ich gelangte in das „Teatro degli Indipendenti". Die Ein-
geweide der Erde nahmen mich auf: eine unglaubliche Menschenmenge wohnte
hier der Aufführung eines Stückes bei. Wiewohl ich mich auf die Zehenspitzen
erhob, konnte ich weiter nichts sehen, als Wölkchen Rauchs, die zu den Balkons
aufstiegen ; dort bewegten sich polyedrische Figuren inmitten Champagnerpfropfen-
geknalls. Da ich müde war und schläfrig, schob mich Bragaglia (der Direktor)
in ein kleines, hellerleuchtetes Nebengemach: kaum war ich eingetreten, rollten
die Türen zu und das Salönchen begann sich mit rasender Geschwindigkeit fort-
zubewegen. Von Zeit zu Zeit fuhr ich aus meiner Schlaftrunkenheit auf und ge-
wahrte, daß da und dort noch andere saßen. Von Zeit zu Zeit hielten wir an,
Leute stiegen ein und aus, die Türen rollten auf und zu, ohne daß sie jemand
berührte. Jetzt erblickte ich bei jeder Haltestelle in riesigen Lettern geschriebene
Namen, und durch die Scheiben konnte ich lesen: REAUMUR-SEBASTOPOL...
BOURSE... QUATRE SEPTEMBRE... OPERA ... Der Metro schoß
zwischen fahlen Larven und stahlblanken Lichtern hin. Ich war sehr erfreut, in
Paris anzukommen, das ich noch nie gesehen hatte. (Deutsch von Cyril Malo)
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737
Augenblick an, um einen Trupp Parlamentsmitglieder vorbeizulassen, die den
Platz überquerten. Sie schritten tapfer fürbaß.
Im Telegraphenamt wartete eine lachende und schwatzende Menge vor einer
endlosen Reihe von Schaltern. Einer der Schalter trug die Aufschrift „Liebes-
telegramme". Hier erkannte ich ein paar der Mädchen wieder, die ich in der
Katakombe gesehen hatte. Doch das, mit dem ich getanzt, war nicht dabei. Ich
seufzte, gab ein halbes Dutzend Liebestelegramme auf und schickte mich an,
in der Stadt umherzuschlendern.
*
Rom ist unter dem Zeichen der Sonne und des Adlers geboren. Ströme von
Sonne durchflossen die Luft, an den Dämmen der Häusersimse entlang. Güsse
Lichtes stürzten zuweilen herunter, schlugen auf dem Pflaster auf und sprangen
zurück in die juwelenüberhäuften Schaukasten der Läden. Männer und Frauen
ergingen sich ohne Hast. An einer Kreuzung der Via del Tritone entwirrte sich
ein üppiges Knäuel roter und schwarzer Autos gleich einem Knoten erwachender
Schlangen. Von Zeit zu Zeit überquerte ein Adler den Himmel, von den
Schlägen der Sonne verfolgt.
Als die Konturen der Häuser golden erglänzten, zog unter klingendem Spiel
die Ablösung der Leibwache zum Quirinal. Die Sonne wartete entblößten Hauptes,
bis der Aufzug vorüber war, dann sank sie in ein schwarzes Bett aus Pinien. Da
hüben alle Steine Roms zu singen an, und die Straßen füllten sich mit Wohl-
gerüchen.
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Plötzlich merkte ich, daß ich meinen„Tipo-Monza"nicht mehr hatte. Der Name
der Katakombe war mir entfallen. Da und dort strich ich noch in Winkelgäßchen
herum. Patrouillen schwarzer Katzen machten die Runde und überwachten die
Ausgänge der Sackgassen. Bei einer erleuchteten Pforte sah ich eine Treppe, die
in die Tiefe führte. Ich gelangte in das „Teatro degli Indipendenti". Die Ein-
geweide der Erde nahmen mich auf: eine unglaubliche Menschenmenge wohnte
hier der Aufführung eines Stückes bei. Wiewohl ich mich auf die Zehenspitzen
erhob, konnte ich weiter nichts sehen, als Wölkchen Rauchs, die zu den Balkons
aufstiegen ; dort bewegten sich polyedrische Figuren inmitten Champagnerpfropfen-
geknalls. Da ich müde war und schläfrig, schob mich Bragaglia (der Direktor)
in ein kleines, hellerleuchtetes Nebengemach: kaum war ich eingetreten, rollten
die Türen zu und das Salönchen begann sich mit rasender Geschwindigkeit fort-
zubewegen. Von Zeit zu Zeit fuhr ich aus meiner Schlaftrunkenheit auf und ge-
wahrte, daß da und dort noch andere saßen. Von Zeit zu Zeit hielten wir an,
Leute stiegen ein und aus, die Türen rollten auf und zu, ohne daß sie jemand
berührte. Jetzt erblickte ich bei jeder Haltestelle in riesigen Lettern geschriebene
Namen, und durch die Scheiben konnte ich lesen: REAUMUR-SEBASTOPOL...
BOURSE... QUATRE SEPTEMBRE... OPERA ... Der Metro schoß
zwischen fahlen Larven und stahlblanken Lichtern hin. Ich war sehr erfreut, in
Paris anzukommen, das ich noch nie gesehen hatte. (Deutsch von Cyril Malo)
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