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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 12
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Ortega y Gasset, José: Muss man mit der Zeit gehen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#1185

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George Grosz

MUSS MAN MIT DER ZEIT GEHEN?
Von
JOSE ORTEGA Y GASSET
Die Beharrlichkeit, mit der ich die Züge unserer Zeit zeichne, ist keine
Manie und nicht einmal mir eigen. Sie ist vielmehr selbst ein wesent-
liches Merkmal der Zeit. Wir leben vieleicht unter noch nie dagewesenen
Umständen. Die Menschheit macht eine radikale Veränderung irrationalen
Ursprungs durch, während der Mensch sich gleichzeitig großen Scharf-
sinns und klaren Selbstbewußtseins erfreut. Zum ersten Male sieht er seiner
eigenen Verwandlung zu, er verändert sich und weiß es. Früher sah er
sich bei jedem tatsächlichen Wechsel als bleibend an, er empfand seine
Überzeugungen und seinen Lebensmodus nicht als veränderlich, sondern
als definitiv. Daher war die Veränderung für den, an dem sie sich vollzog,
nicht vorhanden.
Nun weiß der Fluß des Heraklit, daß er fließt. Der Tropfen eilt zu Tal
und sieht sich selbst rinnen; dadurch ist er auch beharrend und außerhalb
der Strömung. Der Mensch muß lernen, in dieser Doppelform zu leben,
sich gleichzeitig veränderlich und ewig zu fühlen. Das zwingt uns zu voll-
ständig neuer Einstellung dem Leben gegenüber. Früher interessierte sich
der Mensch für eine künstlerische Idee, ein politisches Prinzip, weil sie

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