Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0244
DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:Tschuppik, Karl: Prag und die Prager
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Franz Josefs Onkel, Kaiser Ferdinand, bewohnt. Man nannte ihn in der offiziellen
Geschichte den „Gütigen". Er war aber gar nicht so dumm. Als er 1837, nach der
Thronbesteigung, seine Länder kennen lernte und bei Triest die neue Heeres-
straße besah, fragte er neugierig, wer dies gebaut habe. „Napoleon, Majestät",
antwortete der Adjutant. Vor <in :r imposanten Isonzobrücke dieselbe Frage. Und
wieder die Antwort „Napoleon, Majestät!" Darauf Ferdinand: „Ja, warum hat
man einen so tüchtigen Menschen davongejagt?" Am Abend der Schlacht von
Solferino, 1859, kam die Nachricht von der schweren Niederlage der kaiserlichen
Armee. Franz Josef, der jugendliche neue Kaiser, hatte selber den Oberbefehl
gehabt. Nachdenklich meinte der Entthronte: „Na, so hätt ichs auch getroffen!"
Nach Ferdinands Tod blieb das Prager Schloß leer. Seit dem mißglückten
Versuch Schäffles war nicht mehr damit zu rechnen, daß Franz Josef sich als König
von Böhmen würde krönen lassen. Der Kaiser sandte aber seinen Sohn Rudolf
nach Prag, der als Oberst eines böhmischen Infanterieregiments eine Zeitlang im
Schloß residierte. Dann kam nur noch ein Gast aus dem Hause Habsburg: der
junge Karl, damals Thronfolger und Dragonerleutnant.
Die Wohnung des letzten Bourbonen und des letzten Habsburgers, der beiden
Karl, gehört jetzt zu den Privatgemächern des Präsidenten Masaryk.
*
Im „Bad-Hotel" war ein kleiner Friseurladen. Der Vater des Inhabers, Antonin
Langers, hatte, so erzählte der Sohn, Seiner Majestät, dem letzten König von
Frankreich, täglich den Bart entfernt. Wenn Karl X. die Worte sprach: „Geh,
wasche dir deine Hände, sie riechen schlecht", so antwortete der alte Langer
pflichtschuldig: „Majestät haben einen sehr feinen Geruchssinn." Der Sohn war
ein Philosoph. Zwischen toten und verjagten Königen aufgewachsen, umgeben
von väterlichen Erinnerungen und dem Palastbau Wallensteins, sah er über Jahr-
hunderte hinweg wie unsereins über Tage.
Im Herbst 1918 wieder in Prag, in der Geburtstunde der Republik, suchte ich
meinen alten Friseur. Sein kleiner Laden war mit den Fahnen der Republik ge-
schmückt. Er selber stand, die Seifenschüssel in der Hand, wie ein König vor dem
Gast, der eben rasiert wurde. „Nun, Vater Langer", sage ich, „daß Sie das noch
erlebt haben . . .". „Dreihundert Jahre", entgegnete er stolz, „sind eine kurze Zeit.
Ich habe nie daran gezweifelt!"
Nicht alle Tschechen hatten die Gewißheit dieses Friseurs. Allen aber schien es
selbstverständlich, daß sich ihr dreihundertjähriger Traum erfüllte. Seither wandelt
sich mit schnellen Schritten das alte Prag in eine moderne Stadt. Das von Sagen,
Legenden und Geschichte umwobene Königsschloß auf dem Hradschin birgt jetzt
die Ämter der Republik. Auch ein Stück des versunkenen Österreichs, jene Be-
amten, die noch immer Akten schreiben und überflüssiges Papier zu Bergen häufen.
Die „kaiserlichen Räte" auf dem Graben, jetzt republikanische Kommerzien-
räte, haben sich mit dem Ergebnis der Geschichte versöhnt. Die neue Krone, die
Krone der Währung, entschädigte sie für den Verlust habsburgischer Ideale.
Nur der ehemalige Kindergarten der deutschen Literatur hat eine radikale Wand-
lung erfahren. Die Knäblein auf dem Graben lernen vom Kindermädchen
Tschechisch. Seit 1918 gibt es in Prag kein Genie mehr, das für die Berliner Lite-
ratur in Betracht käme.
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Geschichte den „Gütigen". Er war aber gar nicht so dumm. Als er 1837, nach der
Thronbesteigung, seine Länder kennen lernte und bei Triest die neue Heeres-
straße besah, fragte er neugierig, wer dies gebaut habe. „Napoleon, Majestät",
antwortete der Adjutant. Vor <in :r imposanten Isonzobrücke dieselbe Frage. Und
wieder die Antwort „Napoleon, Majestät!" Darauf Ferdinand: „Ja, warum hat
man einen so tüchtigen Menschen davongejagt?" Am Abend der Schlacht von
Solferino, 1859, kam die Nachricht von der schweren Niederlage der kaiserlichen
Armee. Franz Josef, der jugendliche neue Kaiser, hatte selber den Oberbefehl
gehabt. Nachdenklich meinte der Entthronte: „Na, so hätt ichs auch getroffen!"
Nach Ferdinands Tod blieb das Prager Schloß leer. Seit dem mißglückten
Versuch Schäffles war nicht mehr damit zu rechnen, daß Franz Josef sich als König
von Böhmen würde krönen lassen. Der Kaiser sandte aber seinen Sohn Rudolf
nach Prag, der als Oberst eines böhmischen Infanterieregiments eine Zeitlang im
Schloß residierte. Dann kam nur noch ein Gast aus dem Hause Habsburg: der
junge Karl, damals Thronfolger und Dragonerleutnant.
Die Wohnung des letzten Bourbonen und des letzten Habsburgers, der beiden
Karl, gehört jetzt zu den Privatgemächern des Präsidenten Masaryk.
*
Im „Bad-Hotel" war ein kleiner Friseurladen. Der Vater des Inhabers, Antonin
Langers, hatte, so erzählte der Sohn, Seiner Majestät, dem letzten König von
Frankreich, täglich den Bart entfernt. Wenn Karl X. die Worte sprach: „Geh,
wasche dir deine Hände, sie riechen schlecht", so antwortete der alte Langer
pflichtschuldig: „Majestät haben einen sehr feinen Geruchssinn." Der Sohn war
ein Philosoph. Zwischen toten und verjagten Königen aufgewachsen, umgeben
von väterlichen Erinnerungen und dem Palastbau Wallensteins, sah er über Jahr-
hunderte hinweg wie unsereins über Tage.
Im Herbst 1918 wieder in Prag, in der Geburtstunde der Republik, suchte ich
meinen alten Friseur. Sein kleiner Laden war mit den Fahnen der Republik ge-
schmückt. Er selber stand, die Seifenschüssel in der Hand, wie ein König vor dem
Gast, der eben rasiert wurde. „Nun, Vater Langer", sage ich, „daß Sie das noch
erlebt haben . . .". „Dreihundert Jahre", entgegnete er stolz, „sind eine kurze Zeit.
Ich habe nie daran gezweifelt!"
Nicht alle Tschechen hatten die Gewißheit dieses Friseurs. Allen aber schien es
selbstverständlich, daß sich ihr dreihundertjähriger Traum erfüllte. Seither wandelt
sich mit schnellen Schritten das alte Prag in eine moderne Stadt. Das von Sagen,
Legenden und Geschichte umwobene Königsschloß auf dem Hradschin birgt jetzt
die Ämter der Republik. Auch ein Stück des versunkenen Österreichs, jene Be-
amten, die noch immer Akten schreiben und überflüssiges Papier zu Bergen häufen.
Die „kaiserlichen Räte" auf dem Graben, jetzt republikanische Kommerzien-
räte, haben sich mit dem Ergebnis der Geschichte versöhnt. Die neue Krone, die
Krone der Währung, entschädigte sie für den Verlust habsburgischer Ideale.
Nur der ehemalige Kindergarten der deutschen Literatur hat eine radikale Wand-
lung erfahren. Die Knäblein auf dem Graben lernen vom Kindermädchen
Tschechisch. Seit 1918 gibt es in Prag kein Genie mehr, das für die Berliner Lite-
ratur in Betracht käme.
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