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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 3
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Marginalien
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0292

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Herrenwelt! Aeußerungen, in denen Anerkennung, ja Neid zu deutlich spürbar
waren, als daß sie ernstlich hätten verletzen können.
Aber nicht nur die Gesellschaft — also jene zwanzig Leute, mit denen man
abwechselnd Tee trinkt, tanzt und Probleme erörtert — sondern jeder einzelne
in ihr maßt sich das Verdammungsurteil über die unglückliche Frau an, die nicht
will. Haben Sie schon einmal einem Herrn der Schöpfung Nein gesagt? (Na-
türlich haben Sie!) Die Folge ist für die nächste halbe Stunde ein populärer
Vortrag aus dem Gebiet der Psychoanalyse, mit dem Hauptgewidit auf dem
netten, handlichen Wort „Hemmungen". Wenn das nichts nützt, schließt der
Mann mit schöner logischer Sicherheit, daß Sie entweder frigid sind, oder dumm.
Meist aber beides. Auf die immerhin auch mögliche Folgerung: daß Ihnen viel-
leicht seine Nase nicht paßt! — ist noch keiner gekommen. (Ich weiß, darauf
kann er wieder zufolge des Adlerschen Konkurrenzunternehmens nicht kommen,
weil er sich natürlich keine Minderwertigkeitskomplexe einwirtschaften darf.
Aber uns ja!)
Eine Resolution folgenden Inhalts wäre also zeitgemäß, notwendig und be-
freiend:
I. Jede Frau hat das Recht, aber keine die Pflicht.
II. Wenn sie ablehnt, ist das keine persönliche Beleidigung.
III. Sie braucht deshalb weder eine Gans, noch ein Neutrum, noch lesbisch zu
sein. (Sehr wichtig!)
IV. „Keuschheit" ist weder ein Schimpfwort noch eine Verhöhnung, sondern
ein etwas altmodischer Ausdruck für einen nicht weiter anstößigen
Zustand.
Psycholyrisches Liebesliedlein.
Von Steffy Landt.
Erinnerst du dich? Herbstsonne schien.
Nur du und ich. Wir schritten dahin,
Voll Freud' an Hirsch, Feld und Wiese.
So wunschverträumt. Beim ersten Kuß
Da nannt ich dich zärtlich: Oedipus;
Du hauchtest: Anna-Lyse...
Und dann bei dir. Du sprachst: Ich war
Egocentric-Tänzer in einer Bar.
Ich weinte. Die armen Neurosen,
(Ich hatte sie selber hingestellt)
Sie träumten von Sonne und Spätsommerfeld,
Von Herbstzeit- und Hemmungslosen.
Ich bot dir alles. Du nahmst die Seel'.
Du wolltest so viel und leistetest fehl.
Jedoch: ich lernte dich achten.
Die Stunden gingen. Des Morgens um sechs
Entschliefen wir beide Komplex an Komplex.
Und spät war's, als wir erwachten.

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