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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

DOI issue:
Heft 1
DOI article:
Jackson, Barry Vincent: Shakespeare im Sakko
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0032

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SHAKESPEARE IM SAKKO
Von
SIR BARRYJACKSON
In keinem Lande wird Shakespeare weniger gespielt als in dem Land, in dem er
geboren ist: das klingt unwahrscheinlich, aber es ist so. In den letzten zwanzig
Jahren hat es sich gezeigt, das Shakespeare seine Bedeutung für die englischen
Bühnen verloren hat. Man ist stolz auf ihn, weil er ein Engländer ist, man schätzt
ihn, und es gibt viele, die seine Stücke lesen, aber wenn er auf den Spielplan
gesetzt wird, sind die Häuser leer.
Und die Gründe? — Shakespeare schrieb seine Stücke nicht für Forscher
und Leser. Zweieinhalb Jahrhunderte waren sie die erfolgreichsten Tragödien
und Lustspiele gewesen, Männer und Frauen jeden Niveaus hatten etwas in ihnen
gefunden, sie waren erschüttert, hingerissen, entzückt gewesen. Und heute hat
man nur ein banales Wort für ihn: langweilig.
Müssen wir zugeben, daß Shakespeare nur für seine Zeit und nicht für die
Zukünftigen geschrieben hat, daß Gedankengänge, Problematik und Empfin-
dungen seiner Menschen anders sind als die von heute? Oder liegt es an der
Darstellungsart, die traditionell geworden ist? Nur das ist der Grund. Denn
Shakespeare ist ungeheuer modern, Hamlet und Falstaff und auch Julia denken
so, wie wir alle denken: sie haben dieselben Philosophien und Leidenschaften,
denselben Humor, die gleiche Ironie. Aber wenn man Shakespeare darstellt,
so macht man das „historisch". Damit lehnt man ab, daß er zeitlos ist. Es scheint
dann, als ob man erst Staub von seinem zerlesenen Buch abschütteln müsse,
um zu entdecken, daß darin dasselbe steht wie in dem Werk eines Modernen.
Warum können Schauspieler nicht natürlich sein, wenn sie Shakespeare
spielen? Warum nehmen sie eine falsche Stimme an, einen unnatürlichen Gang,
unnatürliche Gesten? Sie betragen sich so, wie Shakespeare es gerade nicht
haben wollte. Durch Hamlet ließ er ihnen sagen, wie sie es machen sollen.
Aber es besteht eine Shakespeare-Konvention, und die ist falsch, durch nichts
begründet. Es gibt nur ein Mittel dagegen, das ich mit fünf Stücken ausprobiert
habe (mit „Hamlet" vor allem und „Der Widerspenstigen Zähmung"): ich ließ
die Schauspieler moderne Kleider anziehen und stellte sie in moderne Räume.
Shakespeare hat nicht vorgeschrieben, wie seine Menschen sich anziehen sollen,
er legte sicher auch keinen Wert auf Ort und Zeit. Er hat den Römer Julius
Caesar und Timon von Athen genau so gestaltet wie einen Staatsmann aus Elisa-
beths Zeit oder einen Warwickshireclown, und beide könnten ebenso gut ein
König oder Bauer unserer Tage sein. Wenn wir heute Shakespeare fragen könn-
ten, wie er seine Menschen dargestellt haben will, so würde er sagen: „Ich will
nur eins: daß meine Menschen leben. Zieht sie an, so wie ihr das gewöhnt seid,
und laßt sie sprechen, wie ihr jetzt gerade sprecht. Jeder, der sie ansieht, soll
das Empfinden haben: genau so spreche und denke ich ja auch."
Wir müssen Shakespeare in modernen Kleidern spielen, sonst scheint die Atmo-
sphäre seiner Stücke tot. Es wird natürlich eine Menge Puristen geben, die aus
Enthusiasmus für den Dichter diese Modernisierung als ein Attentat betrachten,
aber durch ihre Kritik helfen sie nur dazu, diese neue Richtung populär zu machen.

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