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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 4
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Blitzstein, Marc: Musik in Amerika
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0360

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Empfindsame zu erschrecken ist ein löbliches Werk, wenn es nach Art eines Hindemith
oder Schönberg geschieht, wo Idee und Absicht ersichtlich sind.
Linton Martin, Philadelphia Inquirer, 10. März 1928.
(Weder Schönberg noch Hindemith auf dem Programm.)
Derselbe Kritiker ein Jahr später, am 7. Mai 1929;
Schönberg ist dafür bekannt, daß er alle Regeln der Musik drunter und drüber kehrt, aber
wenn das ein Beweis von Genie ist, dann ist jeder Vaudeville-Akrobat ein größerer Künstler
als Shaw oder Shakespeare. Die Wirkung war reichlich unverständlich.
(Schönbergs „Pierrot Lunaire".)
Noch einmal Schönbergs „Pierrot Lunaire":
Diese Musik wirkt wie Statik... Die Tiefen sind eine grausame Beleidigung für das Ohr . ..
Die orchestralen Faseleien mögen ja, da Schönberg ein kluger Kerl ist, nicht so schlimm sein,
wie sie klingen — gerade so, wie ein chemisch produziertes Ei oft besser ist, als es schmeckt.
H. T. Craven, Philadelphia Record, 7. Mai 1929.
PUBLIKUM. Sei es im „Hollywood Bowl" mit vielen tausend Sitzen oder im
Konzertsaal des „Curtis Institute", das für eine Auslese von zwei- bis dreihundert
erbaut ist — das amerikanische musikalische Publikum zeigt überall dieselben
Eigenschaften, nur in verschiedenen Graden. Die erste hervorstechende Eigen-
schaft, die man konstatieren kann, ist Lebhaftigkeit, die zweite ein Kulturzustand,
der von völliger Ignoranz bis zu unorganisierter Intelligenz schwankt, die dritte
Wankelmut und Snobberei. Es ist ein Land, das Musik liebt, aber kein Vertrauen
zum eigenen Urteil oder Geschmack hat, ein Land, das Wundererscheinungen,
Charlatane und Meister vergöttert und vernachlässigt was nur hervorragend und
nicht aufsehenerregend ist. Das Publikum der Metropolitan Opera will seinen
soliden Wagner und seine Italiener haben; es hat keinen Kontakt mit der im Ent-
stehen begriffenen Opernbewegung in Zentral-Europa. Die „League of Composers
Audience" duldet die importierten modernen Konzerte, weil „Ca, c'est mode",
und wegen der mondänen Pausen. Kleine Gruppen in New York,
kleine Klubs in der Provinz besuchen eifrig Vortragskurse, hören Vorlesungen
über die neuen Richtungen in der Musik, über das Guitarrespielen oder Trompete-
blasen, über die Beziehungen zwischen der Harmonie in der Musik und der Har-
monie im Weltall. Das New Yorker philharmonische Publikum hat einmal Mengel-
berg verehrt, dann aber sein Idol gestürzt und Furtwängler auf das goldene
Stühlchen gesetzt; kehrte dann wieder Furtwängler den Rücken, um Toscanini
zuzujubeln. Momentan, während ich diesen Aufsatz schreibe, wackelt er noch nicht
auf seinem Piedestal.
Musiker, Komponisten, Kritiker, Verleger, Publikum — wirft man sie alle in einen
Topf, so hat man ein ebenso genaues Bild der heutigen Musik in Amerika wie
irgend eine Sammlung von Rohdrucken es geben kann. So schwer es mir fällt,
so widerstehe ich doch der Versuchung, die europäische Illusion zu bestärken,
die sich amerikanische Musik als einen Zirkus in den Händen von Negern,
Jazzleuten und Männergesangvereinen vorstellt. All das existiert auf der musi-
kalischen Bühne, doch hat es für die amerikanische Musik ungefähr dieselbe Be-
deutung wie für die französische oder skandinavische. (Deutsch von Eva Maag)

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