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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 4
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Antheil, George: Zurück zur romantischen Oper
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0365
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ZURÜCK ZUR ROMANTISCHEN OPER
Von
GEORGE ANTHEIL
Djaghilew starb und mit ihm die strahlende Epoche des Ausstattungswahns
und der übertriebenen theatralischen Wirkung, wie sie das russische Ballett
kultivierte, in der Sucht, ein nach außen blendendes und auf äußerliche Effekte
gerichtetes „theätre pur" zu schaffen. Aber ist nicht jedes Theater — jedes echte
wenigstens — „pur", wie die Dichtkunst — echte Dichtkunst — „pur" sein
muß? Vor kurzem gerade hat Jean Cocteau diese Frage aufgeworfen, und ich
bin nur ein schwaches Echo des großen französischen Dichters. Als ich meine
neue Oper „Transatlantic" schrieb, vermied ich es, eine Technik anzuwenden,
die den Blick auf das Theatralische lenken mußte. Es existieren heute zwei Rich-
tungen, die das Theatralische, dieses in Mode gekommene „Theater-um-des-
Theaters-willen", nur allzu gern anwenden: die konservative und die avant-garde
um jeden Preis. Beide Methoden sind im Prinzip die gleichen: die konservative
Opern-Algebra hat ein neues, wohlorganisiertes System eingeführt, aber die Arien,
Duos und Sextette sind genau dieselben altehrwürdig festgelegten wie früher,
wie in „Mavra" z. B.; die Avant-garde-Methode dagegen setzt uns, trotz mannig-
faltiger, verwirrender Aufmachung — wie Extra-Vorhänge, Überschriften
usw. — dieselbe alte Opern-Algebra, nur im Bubikopf, vor. Das Theater von
heute sollte jedoch wieder langes Haar und lange Kleider tragen. Es ist Zeit,
wieder von Liebe und menschlichen Dingen „ sprechen und zarte Nuancen zu geben,
wie wir sie in Cocteaus „La Voix Humaine" oder Soupaults „Le Grand Homme"
finden.
Meine neue Oper „Transatlantic"*) ist aus Erfahrung geboren und nicht
aus dem Wunsch, eine technisch neue Opernform zu schaffen. Wichtig schien
mir nur die Möglichkeit, die Oper, wenn es erforderlich ist, so beweglich wie
Filmbilder zu gestalten, ohne dabei die Neuartigkeit der Technik in den Vorder-
grund zu stellen.
„Transatlantic" will nicht mehr scheinen, als es ist. Die Oper gibt sich nicht
mit der Frage der Menschheitstragödie oder mit psychologischen Problemen ab,
sie will eine echte Oper sein und so naturgewollt wie das Atmen; vor allem aber
will sie eine echte Heroine haben. Ihre Arien, Duos und Sextette sind aus dem
Leben gegriffen, ihre Ausstattung ist unpersönliches Mobiliar und einer modernen
Großstadt, New York, entnommen. Eine Szene spielt sogar in Childs Restaurant,
das jeder New-Yorker kennt. Die moderne Stadt, und was sie in ihren Mauern
birgt, ist uns auf der modernen Bühne so vertraut wie das Bild unserer eigenen
Mutter. Nur aus diesem Grund schien mir als Rahmen für ein innerliches Erlebnis
dieses Milieu angebrachter als das eines früheren Jahrhunderts, das man immer
mit einer Art unechter Sentimentalität und Romantik verbindet. Diese unechten
Gefühle sind tot. Die romantische Oper „Transatlantic" reicht hinauf bis zu den
Sternen, über die Wolkenkratzer hinweg. Auf den ersten Blick mag sie naiv
wirken, aber bei eingehender Betrachtung erkennt man den Mechanismus bis

*) Uraufführung am 20. Mai in Frankfurt a. M,

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