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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 5
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Kaiser, Georg: Von Magdeburg nach Magdeburg: Lebensbericht am Mikrophon
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0457

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Er hieß Knoepfle. Ich habe es niemals begriffen, warum man die Gebirge der
Schweiz verlassen kann, um am Hafen von Buenos Aires eine Kneipe zu führen.
Wenn man schon unruhigen Gemüts ist und nicht an der Stätte seiner Geburt
verweilen kann, so soll man nicht an einem so langweiligen Fluß wie der La Plata
sich festsetzen. Das sagte ich mir — und wenige Tage später saß ich selbst in
einem viel langweiligeren Büro der argentinischen Filiale der A. E. G. fest und
schrieb in Bücher, was an Materialien für elektrische Anlagen verkauft wurde.
Und seltsamerweise erlebte ich nicht die geringste Enttäuschung, daß ich nun hier
saß und nicht als Gaucho auf einem feurigen Mustang durch die Pampas jagte.
Ich tat das später auch, aber es machte mir keinen besonderen Eindruck. Das
Leben hat eine derartig vernichtende Selbstverständlichkeit, daß es einem erst
nach Jahren gelingt, ihm prachtvolle Dekorationen anzuhängen, damit es wenig-
stens in der Erinnerung einen erträglichen Grad von Schmackhaftigkeit annimmt.
Aber Europa geriet langsam bei mir in Vergessenheit. Bis auf jene schrecklichen
Träume, die sich meistens so abspielten: ich ging zum Hafen hinunter und bestieg
ein Schiff, das nach Europa fuhr. Ich bestieg es gänzlich ohne meinen Willen.
Aber ich befand mich schon an Bord. Ich hoffte, daß im letzten Augenblick der
Anker sich nicht lichten ließe — aber der Anker ließ sich aus dem Wasser heben,
und die Maschine begann zu stampfen. Das Schiff fuhr. Ich weinte. Plötzlich
stiegen Klippen jäh aus dem ebenen Meer auf. Schlief der Kapitän? Oh, möchte
er doch schlafen und keine Klippen sehen. Das Schiff müßte zerschellen — und
mit ihm untergehen, was auf ihm fuhr. Es war doch unmöglich, daß ich nach
Europa zurückreisen sollte. Und ich erwachte in der feuchten Hitze am Ufer der
La Plata — und fühlte mich krank in diesem Klima, das mich mehr und mehr
schwächte. Da mußte ich mich eines Tages entschließen, doch nach einem Schiff
zu suchen, das nach Europa fuhr, um nicht den Krankheiten dieser fremden Zone
zu erliegen. Diesen Entschluß faßte ich von einem Tag auf den andern, und auf
einem kleinen italienischen Dampfer trat ich die Rückfahrt an. Sie wurde von langer
Dauer, denn es stürmte viel auf dem
Meer — und schließlich geriet die
Ladung in Brand. Es galt ein Ufer
zu gewinnen. Es war Afrika. Da blieb
ich in einem Negerdorf — ich weiß
nicht mehr wie lange. Ich weiß nur
noch, daß mir der Abschied sehr
schwer wurde — daß ich zum ersten-
mal etwas von meinen Reisen auf-
schrieb: nämlich meine unverständ-
lichen Gespräche mit den Negern.
Ich dachte mir ihre Antworten auf
meine Fragen und schrieb meinen
ersten Dialog: ein Gespräch, das seine
Handlung in Worten hat — und mit
seinenWorten sich über jede Handlung
erhob, um tiefer in abgründige Fragen
hinabzustürzen, die ich mir damals


Max Pechstein

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