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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 5
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Lawrence, D. H.: Die Frau, wie du sie willst
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0494

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ganzes Leben lang unentwegt keusch und unberührt zu sein, während Dante
zu Hause ein trautes Weib und Kinderchen besaß —, auch das ist noch nicht das
Schlimmste. Das Schlimmste ist, daß der Mann, sobald eine Frau vollkommen in
seine Schablone hineingewachsen ist, sich nichts mehr ans ihr macht. Unter
den jungen Leuten besteht im geheimen eine intensive Abneigung gegen das
Eton-boy-girl, seitdem die Frau sich endgültig dazu entwickelt hat. Natürlich ist
es sehr nett, wenn man sie so der Öffentlichkeit präsentiert. Aber gerade die
Männer, die an diesem Produkt schuld sind, verabscheuen es im geheimen und
sind im innersten Herzen entsetzt. Kommt es zur Heirat, so geht die ganze
Schablone in Stücke. Der junge Mann heiratet das Eton-boy-girl, und im selben
Moment haßt er den Typ. Sofort beginnt sein Gefühl hysterisch mit sämtlichen
andern Typen zu spielen, mit edlen Agnessen, keuschen Beatricen, verzehrenden
Doras und bleichen Freudenmädchen. Er befindet sich in einem wüsten Pfuhl
der Verwirrung. Welche Schablone die arme Frau auch probiert, er will eine andere.
Und das ist der Zustand der modernen Ehe.
Nicht die moderne Frau ist verrückt, der moderne Mann ist es. Das ist meiner
Ansicht nach die einzige Formulierung, die die Sache beim rechten Namen nennt.
Der moderne Mann ist ein Narr, und der moderne junge Mann ein Obernarr.
Er richtet größere Verwirrung unter den Frauen an, als es je ein Mann vor ihm
getan hat. Weil er absolut nicht weiß, wie er sie eigentlich haben will. Wir sehen,
wie die Frauenschablonen einander ablösen, wie schnell und ungestüm sich heut-
zutage der Wechsel vollzieht, weil die jungen Männer in ihrer Hysterie nicht
wissen, was sie wollen. In zwei Jahren werden die Frauen vielleicht in Krinolinen
stecken — das wäre eine Schablone für euch! — oder Perlgehänge tragen, wie
nackte Negerinnen in Mittelafrika, oder vielleicht Bronze-Panzer, oder die Uni-
form der Horse Guards. Alles ist möglich. Weil die jungen Männer ihren Kopf
verloren haben und nicht wissen, was sie wollen.
Die Frauen sind gar nicht närrisch, aber sie müssen sich eben nach irgend-
einer Schablone richten. Sie wissen, daß die Männer verrückt sind, und eigentlich
respektieren sie die Schablonen gar nicht. Und doch müssen sie eine Schablone
haben, sonst können sie nicht existieren. Die Frauen sind nicht verrückt. Sie
haben ihre eigene Logik, wenn sie auch nicht von männlicher Art ist. Frauen be-
sitzen die Logik des Gefühls, Männer die der Vernunft. Sie ergänzen sich beide
und stehen meist im Widerspruch zueinander. Aber die Gefühlslogik der Frau ist
nicht weniger real und unerbittlich als die Vernunftlogik des Mannes. Sie äußert
sich nur auf verschiedene Weise. Der Frau wird sie nie ganz abhanden kommen.
Sie mag jahrelang nach einer männlichen Schablone leben. Aber letzten Endes
wird ihre merkwürdige und erschreckende Gefühlslogik die vergewaltigende
Schablone durchbrechen, wenn das Gefühl keine Befriedigung gefunden hat.
Das ist zum Teil die Erklärung für die erstaunlichen Wandlungen, deren die
Frauen fähig sind. Jahre hindurch sind sie keusche Beatricen oder Kind-Weiber.
Plötzlich ein Ruck — und die keusche Beatrice verändert sich völlig, das Kind-
Weib wird zur brüllenden Löwin! Die Schablone hat dem Gefühl nicht genügt.
Männer sind Narren. Wenn sie von der Frau etwas wollen, so sollen sie ihr
doch ein anständiges und befriedigendes Weiblichkeits-Ideal suggerieren - —
und nicht die Trick-Schablonen hirnloser Idioten. (Deutsch von Eva Maag)

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