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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 6
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Wedderkop, Hermann von: Mussolini wie ich ihn sehe
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0536

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ligen, infolge der Launen ihrer Führer gänzlich unberechenbaren Züge — ein
Wirrwarr, den die ewig Gestrigen „romantisch" nannten und in dem als einziger
Ruhepol die Küche, die schöne, nüchterne, geheiligte Küche Italiens dastand.
Um einen Menschen — falls er ein Mensch oder, wer weiß das, nicht vielmehr
ein Instrument ist —, um einen Menschen wie Mussolini zu begreifen, braucht
man nur eins zu bedenken: daß nichts, aber auch gar nichts von diesen Miß-
ständen mehr vorhanden ist. Bis — • vielleicht — auf den kleinen Rest der
Gondolieri in Venedig, die genau so lächerlich und genau so Kuriosität sind
wie ihre Gondole und ihre Ausrufe, wenn sie in dem Dreckwasser um die Ecken
biegen wollen.
Will man von diesem Mensch-Instrument — denn es wäre verkehrt, banal
und subaltern ihn einen Gott zu nennen — • etwa auch noch, daß er „persönlichen
Charme" hat, daß er „anziehend" ist? Auch das leistet er. Ich sagte ihm in unserer
langen Unterredung, die mir zu gewähren er die Güte hatte, ich sei ein Mensch,
der sich mangels jeder Basis bestimmt nicht mit General Ludendorff unter-
halten könnte, der dagegen mit derselben Bestimmtheit mit ihm, Mussolini,
diese Basis fände. Ich sagte ihm, mir hätten Bekannte gesagt, sie lebten schwer
unter dem „System", ich hätte ihnen darauf geantwortet, das System an sich sage
mir nichts, es käme auf den Geist an, und diesen Geist müsse man an Ort
und Stelle studieren. Ich sagte ihm, es sei ein Erbfehler der Menschheit, Dinge
theoretisch zu begreifen, von der „Idee" auszugehen, statt vom lebendigen
Leben, er, Mussolini, sei der lebendige Beweis von dem Gegenteil dieser
Veranlagung. Das System an sich sage mir nichts, aber es gäbe so Anzeichen:
die Züge gingen präzise, man erhalte kein falsches Geld mehr, werde nicht mehr
angebettelt usw. Und in Verbindung mit diesen allgemeinen Tatsachen die
weitere, daß ein Mann vor mir sitze, demgegenüber ich nicht die geringste
Befangenheit hätte, ich glaubte — ich möchte dies mit Bestimmtheit behaupten —
an die stärkere Wirkung der Gesamtpersönlichkeit eines Menschen, an die Stärke
der Aura, die auf den Empfindlichen mehr wirke als tausend Abhandlungen.
Er hörte sich das an, nicht steinern wie ihn der Unpersönliche zu sehen liebt,
sondern wie ein Mensch, der sich seit Urzeiten im klaren ist, wie jemand, der
erhaben ist über die Schmeichelei, der aber zugleich zu echt, zu lebendig ist, um
nicht genau zu wissen, ob nicht doch irgendein unreines Gefühl dabei ist. Ich
dachte, da sitzt er vor dir, dieser Mann, der alles in Italien neu gemacht hat, alles
reorganisiert hat, einfach, ausgeruht, am Ende eines Arbeitstages — ich dachte
an seine wundervollen formvollendeten, dem Rhythmus hingegebenen Reden,
dachte daran, daß er Rosen ins Volk schmeißt, zu dem er spricht, daß er das
erste beste Bambino auf den Arm nimmt, wie er sich tief vor der Düse verneigt
und D'Annunzio ehrt, wie nur je ein Für st des Ancien Regime — des tres Ancien
Regime — einen Dichter ehren konnte. Wie er den Sinn für das Symbol hat,
das sinnfällige Symbol! Irgendein italienischer Purzel, namens Balilla, verübt
irgendeine Heldentat gegen die Österreicher: heute ist „Balilla" die Jugend-

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