Kurt Löwengard
RUND UM RUMÄNIEN
Von
DECEBAL
Rumänien hatte bis zum Vertrag von Trianon die Form eines zierlichen
Damenstiefels — zum Unterschied vom hohen italienischen Reitstiefel, der
den sizilischen Stein von sich stößt. Der elegante Damenstiefel, im unteren Teil
seines Schaftes schön schattiert vom Schwarzen Meer, hatte 1913 nach einem
Feldspazierzug einen hübschen Absatz (Stöckel) in Gestalt des Quadrilaters
bekommen, der die Form des Stiefelchens angenehm abrundete. Im Mai 1918
aber, im Friedensdiktat von Bukarest, strich der österreichische Graf Czernin,
ehemals hier als Gesandter akkreditiert, nicht nur diese Abrundung, sondern
den ganzen hinten ausladenden Bug des naturalistisch gebuchteten Damen-
stiefels, so daß er zu einem bäuerischen Opanken verstümmelt wurde; er schickte
die ganze Dobrudscha nach Bulgarien heim. Die Heimschickung aber, die Ru-
mänien traf, dauerte nur einige Monate. Nach dem endgültigen November
schickte sich Rumänien wieder zu einer Abrundung an, die diesmal die Grenzen
des eleganten Damenstiefels überschritt. Durch Transsylvanien, Bukowina,
Bessarabien bekam das Land, zum Reich geworden, eine fast kreisförmige Form;
es hat jetzt das Profil der Erdkugel, d. h. der Kreis ist oben und unten ein wenig
abgeplattet. Wo ist der Damenschuh nun hin? Zwar sind seine Umrisse selbst
auf der neuen Landkarte erkennbar, denn die Transsylvanischen Alpen und die
Karpathen schraffieren seine Einbuchtung, aber er erscheint von einer Geschwulst
entstellt und überladen. Kurz und gut: es ist kein Stiefel mehr, sondern etwas
anderes. Auf der Landkarte ist das neue Gebilde sehr harmonisch und in sich
geschlossen anzusehen — im Innern aber scheint die Geschlossenheit geringer
zu sein.
Transsylvanien, Bukowina, Bessarabien sind wirklich, wenn auch nicht aus-
schließlich, von Rumänen bewohnt, aber zwischen den Rumänen des alten und
des neuen Rumänien gibt es gewisse Unterschiede, und nur die tzaranistische,
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