Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0689
DOI issue:
Heft 7
DOI article:Cohen-Portheim, Paul: Spanischer Salat
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Bagaria
Der spanische Löwe: „In meinem Lande wünschen alle die Revo-
lution — und alle mieten Fenster, um sie vorüberziehen zu sehen."
putzen, und eine erhebliche Minorität lebt hiervon. Mitten im Autogewühl hat
sich eine Schafherde etabliert, und unter den Lichtreklamen steht der Sereno,
der Nachtwächter, mit Schlüsselbund und Laterne. Neben riesenlangen und
breiten Boulevards liegen die hintersten engen Gassen; rings um das mittelalter-
liche Gewirr des Stadtkerns ist das neue Barcelona als geometrisches Schachbrett
angelegt. Neben der alten gotischen Kathedrale baut man seit 30 Jahren an einer
neuen im „Art-Nouveau-stil", die von überwältigender Scheußlichkeit ist; neben
Theatern, in denen Pariser Truppen gastieren oder Furtwängler dirigiert, gibt
es die Freudenstadt des Parallelo, die fast St. Pauli in den Schatten stellt. Eine
Dame nach der anderen stellt sich in den Varietes dem Publikum vor: Infantinnen,
Salomes, Babys, junge, uralte, schlanke und monströs dicke, und alle, alle brechen
nach einiger Zeit in spa-
nische Tänze aus. Und im
ersten Stock kann man die
Damen näher kennen
lernen. Man kann Pracht-
revuen sehen, die sich
keine deutsche Provinz-
stadt gefallen lassen wür-
de, oder auch (gerade zur-
zeit) Cochranes berühmte
Revue aus dem London
Pavilion in Originalbe-
setzung. Man kann in
einem ganz echten Ritz-
hotel für viele Pesetas le-
ben oder in einer Fonda,
in der Don Quixote ab-
gestiegen sein könnte,
für sehr wenige. Man
kann auch nach dem
nahen Sitjes fahren, das
einen herrlichen Strand
hat und sich das ,,spa-
nische Nizza" nennt. Dieses Nizza hat zwei kleine Hotels und eine Bretterbude
als Kasino; daneben aber ist ein Riesenhotel im Bau (diese Saison ist es leider
wieder nicht fertig geworden), man hat eine viele Kilometer lange Strand-
promenade angelegt, auf der Bänke mit Reklamen stehen, dahinter stehen Häuser,
die meist zu verkaufen oder zu vermieten sind, sehr einsam und in weiten Ab-
ständen; und das eigentliche Sitjes ist ein entzückendes kleines Städtchen, weiß
unter Palmen. Die ganze Küste ist voller reizender kleiner Orte, die es meist
offiziell noch nicht gibt, und im katalonischen Hinterland wachsen durcheinander
Fabriken und Klöster und Wälder und Kirchen und Berge.
Katalonien will seit langem „unabhängig sein"; es spricht eine eigene Sprache,
es ist der reichste Teil Spaniens, es vereinigt fast die ganze Industrie des Landes.
Man sagt, der König sei jetzt zu großem Entgegenkommen bereit; vielleicht
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