Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0692
DOI issue:
Heft 7
DOI article:Wilczynski, Katerina: Kastilien, nicht Andalusien
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man es ständig auf der Landstraße trifft. Wenn sie — ganz schwarz — auf hohem
Roß einhersprengen, sieht es ganz phantastisch aus.
Es ist die kälteste Provinz, hochgelegen, die Sierra fast immer schneebedeckt.
Die Leute sind sehr empfindlich, eine Hauptrolle spielt das Kaminfeuer oder das
eiserne Öfchen, um das sich alles versammelt. Die normale Erwärmungsmöglich-
keit — da die Häuser alle ohne Öfen sind — ist der „bracero", eine Kupferschale
mit glühender Asche.
Segovia mit dem Viadukt, der Kathedrale, dem Alkazar, den Hotels ist, ab-
gesehen vom Touristenverkehr, nichts anderes als ein großer „pueblo", in dem
nicht nur an Markttagen viel Leben herrscht von Leuten zu Pferd, zu Esel und
zu Wagen.
Madrona ein malerischer, sonst ganz toter Ort mit einer Taverne und einem
sehr schönen Kaminfeuer. An sonnigen Tagen näht alles auf der Straße, typisch
für alle pueblos.
Santa Maria de Nieva, der gefährlichste Ort der Provinz. (Zwanzig „Nachbarn"
und vierzig Tavernen — - jeder Nachbar benötigt zwei Tavernen.) Wann die
Leute arbeiten, ist unerfindlich. Sie spielen pelota und bewirten sich gegenseitig.
Eine Frau sagte mir einmal: „In Spanien ist der Mann der Hund, ständig auf der
Straße — die Frau die Katze, immer im Haus." Die Frau ist von einer andern
Welt hier. Nicht nur, daß sie nicht mit dem Mann ausgeht, sie sitzt kaum am
Tisch mit ihm, es gibt keine andere Gemeinsamkeit als die Kinder.Fast immer
sind die Männer jung und schlank, die Frauen dick, verbraucht und alt, als wären
sie ein älterer Jahrgang.
Uracca ist ein kleiner, abgelegner pueblo, ganz aus Stein — nichts von Ge-
schäften, Zeitung oder Schule, nur Kirche. Schule hält ein Schuhmacher, der
gleichzeitig auch Bauer ist. Man wird mit viel Würde und Zeremonie empfangen,
alles gruppiert sich um den Kamin, die Frauen stehend im Hintergrund. Es wird
Kuchen und Wein gereicht, einige Gläser nur, aus denen jeder nur einen Schluck
trinkt. Das wiederholt sich einige Male, bis sich im geheimnisvollen Dunkel der
Küche die Vorbereitung der Mahlzeit bemerkbar macht. Es gibt im Kaminfeuer
gebratene Wurst und Fleisch; es ist sehr beleidigend, wenn man nicht viel ißt.
Wir essen auf weißem Tischtuch und mit weißen Servietten (ohne die ißt hier
kein Arbeiter). Wieder nur die Männer am Tisch. Mit vielen Segensworten ver-
abschiedet man sich und wird zum Haus des nächsten Verwandten begleitet. Auf
diese Weise mußten wir fünfmal zu Abend essen.
Pedraza, einer der schönsten Pueblos der Provinz. 45 „Nachbarn", nur alte
Häuser, und nur ein Eingang. Es existiert ein castillo, das Zuloaga gekauft hat
und als Wohnsitz instand setzen läßt. Der Ort ist sehr arm, die Kirche für fünf-
hundert Peseten zu verkaufen (das ist authentisch).
Tureganoff, großer, schöner und reicherer Ort, ebenfalls mit schönem castillo.
Es ist der wichtigste Platz der Provinz für die sogenannte feria (zweimal im
Jahr), dem Ver- und Ankauf von Tieren, tausenden und tausenden von Eseln,
Mauleseln, Pferden aus dem ganzen Lande. Am Abend ziehen sie mit den Be-
sitzern wie bei einer Parade durch die Stadt in die jeweiligen Schlafgelegenheiten,
phantastische Gestalten, phantastische Farben, dazu flackernde Feuer in der
Dunkelheit. — Ein Land, in dem die Zeit stehen geblieben ist.
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Roß einhersprengen, sieht es ganz phantastisch aus.
Es ist die kälteste Provinz, hochgelegen, die Sierra fast immer schneebedeckt.
Die Leute sind sehr empfindlich, eine Hauptrolle spielt das Kaminfeuer oder das
eiserne Öfchen, um das sich alles versammelt. Die normale Erwärmungsmöglich-
keit — da die Häuser alle ohne Öfen sind — ist der „bracero", eine Kupferschale
mit glühender Asche.
Segovia mit dem Viadukt, der Kathedrale, dem Alkazar, den Hotels ist, ab-
gesehen vom Touristenverkehr, nichts anderes als ein großer „pueblo", in dem
nicht nur an Markttagen viel Leben herrscht von Leuten zu Pferd, zu Esel und
zu Wagen.
Madrona ein malerischer, sonst ganz toter Ort mit einer Taverne und einem
sehr schönen Kaminfeuer. An sonnigen Tagen näht alles auf der Straße, typisch
für alle pueblos.
Santa Maria de Nieva, der gefährlichste Ort der Provinz. (Zwanzig „Nachbarn"
und vierzig Tavernen — - jeder Nachbar benötigt zwei Tavernen.) Wann die
Leute arbeiten, ist unerfindlich. Sie spielen pelota und bewirten sich gegenseitig.
Eine Frau sagte mir einmal: „In Spanien ist der Mann der Hund, ständig auf der
Straße — die Frau die Katze, immer im Haus." Die Frau ist von einer andern
Welt hier. Nicht nur, daß sie nicht mit dem Mann ausgeht, sie sitzt kaum am
Tisch mit ihm, es gibt keine andere Gemeinsamkeit als die Kinder.Fast immer
sind die Männer jung und schlank, die Frauen dick, verbraucht und alt, als wären
sie ein älterer Jahrgang.
Uracca ist ein kleiner, abgelegner pueblo, ganz aus Stein — nichts von Ge-
schäften, Zeitung oder Schule, nur Kirche. Schule hält ein Schuhmacher, der
gleichzeitig auch Bauer ist. Man wird mit viel Würde und Zeremonie empfangen,
alles gruppiert sich um den Kamin, die Frauen stehend im Hintergrund. Es wird
Kuchen und Wein gereicht, einige Gläser nur, aus denen jeder nur einen Schluck
trinkt. Das wiederholt sich einige Male, bis sich im geheimnisvollen Dunkel der
Küche die Vorbereitung der Mahlzeit bemerkbar macht. Es gibt im Kaminfeuer
gebratene Wurst und Fleisch; es ist sehr beleidigend, wenn man nicht viel ißt.
Wir essen auf weißem Tischtuch und mit weißen Servietten (ohne die ißt hier
kein Arbeiter). Wieder nur die Männer am Tisch. Mit vielen Segensworten ver-
abschiedet man sich und wird zum Haus des nächsten Verwandten begleitet. Auf
diese Weise mußten wir fünfmal zu Abend essen.
Pedraza, einer der schönsten Pueblos der Provinz. 45 „Nachbarn", nur alte
Häuser, und nur ein Eingang. Es existiert ein castillo, das Zuloaga gekauft hat
und als Wohnsitz instand setzen läßt. Der Ort ist sehr arm, die Kirche für fünf-
hundert Peseten zu verkaufen (das ist authentisch).
Tureganoff, großer, schöner und reicherer Ort, ebenfalls mit schönem castillo.
Es ist der wichtigste Platz der Provinz für die sogenannte feria (zweimal im
Jahr), dem Ver- und Ankauf von Tieren, tausenden und tausenden von Eseln,
Mauleseln, Pferden aus dem ganzen Lande. Am Abend ziehen sie mit den Be-
sitzern wie bei einer Parade durch die Stadt in die jeweiligen Schlafgelegenheiten,
phantastische Gestalten, phantastische Farben, dazu flackernde Feuer in der
Dunkelheit. — Ein Land, in dem die Zeit stehen geblieben ist.
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