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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

DOI issue:
Heft 7
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Bontempelli, Massimo: Die Frau mit den gefärbten Haaren: ein kleiner Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0714

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Ich versetzte mir in Gedanken eine Ohrfeige und rief unwillkürlich aus: „Ach
Gott, welch ein Dummkopf...!"
Und hiermit habe ich in meinen Roman das Mißverständnis eingeführt. (In
jedem Abenteuerroman, der diesen Namen wirklich verdient, erscheint an einer
gewissen Stelle das Mißverständnis. Manchmal gehört es zur Klasse der wesentlichen
Mißverständnisse und leitet damit die Intrigue des Romans ein. Manchmal wieder
ist es nur von nebensächlicher Bedeutung und hat auf die Entwicklung der
Handlung keinen Einfluß. In unserem Fall handelt es sich um ein Mißverständnis
der letzteren Art.)
In folgendem bestand das Mißverständnis: Ich hatte den Ausruf auf mich
selbst bezogen, da ich schon sehr lange wußte, daß Frau Marta überaus eifer-
süchtig auf ihren Gatten war und daß sie der Reihe nach alle Freunde ihres
Mannes mehr oder weniger für ihre Sorgen interessiert hatte. Wenn sie nun so
unerwartet und mit solch einer Miene zu mir kam, hätte ich augenblicklich
begreifen müssen, daß ihr Besuch nur mit ihrer fixen Idee Zusammenhängen
konnte, und mich nicht in nutzlosen Aufzählungen ergehen dürfen. Deswegen
war mir dieses „Ach Gott, welch ein Dummkopf...!" entfahren. In Wirklichkeit
wollte ich sagen: „Ach Gott, welch ein Dummkopf bin ich doch!" Statt dessen
mißverstand mich Frau Marta vollkommen. Sie glaubte, daß mein Ausruf eine
Antwort auf ihr Geständnis und eine Art intelligente und zusammenfassende
Kritik ihres Gatten wäre („Mein Mann betrügt mich!" — „Ach Gott, was für
ein Dummkopf ist er doch!"). Und während ich noch im stillen meine voreilige
Zunge verfluchte, war sie mir bereits dafür dankbar, daß ich ihren Gatten einen
Dummkopf genannt hatte, weil er eine Frau wie sie betrog. Sie betrachtete
meine Worte als ein unfreiwilliges, spontanes Kompliment. So lächelte sie einen
Augenblick schwach mit wehmütiger Dankbarkeit und sagte dann: „Ich habe
Beweise."
VIERTES KAPITEL
Fünf erdrückende Haare
Meiner Treu, auch ohne Advokaten habe ich
hier den Beweis für die Untreue meiner Frau.
Moliere: Die Eifersucht des Hintergangenen.
Ich erbleichte: „Beweise? Ist es möglich?"
„Ja, Beweise. Heute früh habe ich beim Ausbürsten seines Rockes das hier
gefunden."
Sie griff nach ihrer Tasche, nahm daraus eine große Börse, aus dieser eine
kleinere, aus der kleineren zwei Schlüssel, einen Lippenstift, ein Taschentuch,
einen Fünflireschein und ein Päckchen. Sie breitete alles auf dem Diwan aus
und hielt mit tragischer Miene das Päckchen in die Höhe. Dann wickelte sie
es langsam auf und zog daraus ein Büschel von fünf oder sechs Haaren, die unter
ihren Fingern sogleich durch die Luft zu flattern begannen: es waren fünf oder
sechs lange Frauenhaare.
„Diese Haare haben Sie in der Tasche Ihres Gatten gefunden?"
„Nein, viel ärger. Ich habe diese Haare — nicht eines, sondern fünf — nicht
in, sondern auf dem Rock meines Gatten gefunden, und zwar an dieser Stelle . .."

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