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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 7
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Straus-Ernst, Louise: Die Mädchen von Düsseldorf
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0733

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ortsunkundig und ohne Obdach sind, gibt vor, sie in ein Heim oder Hospiz
zu führen. Ganz allmählich hat sich eine ganze Reihe solcher Mädchen gemeldet,
die zuerst keine Anzeige erstattet hatten, obwohl Kürten sie vergewaltigt, zum
Teil auch gewürgt hatte. Denn was heißt schließlich in einem solchen Falle „ver-
gewaltigt?" Sie waren ja freiwillig mitgekommen und nicht etwa im Dunkeln
überfallen worden. Da mögen sie mit Recht einen Teil der Schuld bei sich selbst
gesucht haben. Zu diesen Mädchen gehört auch Maria Budlick, durch deren
tapferes und energisches Vorgehen Kürtens Wohnung gefunden und seine Ver-
haftung ermöglicht wurde. Sie hat spät abends eine Freundin verfehlt, die der
Obdachlosen eine Schlafstelle hatte besorgen wollen, wird von einem Mann
angesprochen, der sie in den Volksgarten verschleppen will. Doch als sie noch
Bedenken äußert, tritt Kürten dazwischen, weist den fremden Mann (oder wars
doch ein Zutreiber?) zurecht: „Sie wissen doch, daß hier so viele Morde passiert
sind. Und da führen Sie ein Mädchen in die Irre?" Natürlich folgt nun die Budlick
diesem ehrenhaften Manne, dessen Opfer sie dann um ein Haar selber geworden
wäre. Typisch aber für die Mentalität dieser Mädchen ist auch wieder eine Be-
merkung, die sie einem Reporter gegenüber machte. In einem ersten Bericht war
sie als verwachsen geschildert worden. „Ich bin so gerade gewachsen, wie die
andern auch" erklärt sie erregt. „Darüber ärgere ich mich mehr wie damals über die
Nacht." Also die Nacht, in der sie beinahe auf die scheußlichste Weise zu Tode
gekommen wäre, ärgert sie weniger als der Buckel, den man ihr angedichtet hat.
Die Polizei hat in ihren Berichten mehrfach Erstaunen darüber geäußert,
daß viele Mädchen sich mit dieser Bestie immer wieder verabredet haben. Ist
das denn wirklich so erstaunlich? Ganz ernstlich war Kürten ihnen ja wohl nicht
zu nahe getreten, sonst hätten sie wohl dran glauben müssen. Aber eine gewisse
Brutalität, die einen normalen, solid verheirateten Polizeibeamten vielleicht ent-
setzen mag, gehört für sehr viele Mädchen ohne weiteres zur Liebe. Ein Mann,
der auf dem Spaziergang und im Kino so lieb und zärtlich zu reden versteht, darf
in der Liebe schon gehörig ins Zeug gehen, ohne daß man sich viel Gedanken
darüber macht. Im Gegenteil sogar! Uralte Instinkte aus Zeiten, in denen Liebe
und Zerstörungstrieb näher als heute benachbart waren, wurden hier wach.
Diese Mädchen haben Kürten geliebt. Eine schenkte ihm einen Schlips zum
Geburtstage. Den trug er am Tage der Vernehmung, als sie ihm gegenüber-
gestellt wurde; und sie erkannte ihre Gabe gleich wieder. Eine andere, befragt,
wie sie sich mit einem solchen Kerl habe abgeben können, antwortet erstaunt:
„Aber er sah doch so gut aus, war immer fein und sorgfältig gekleidet ; und er benahm sich
überhaupt wie ein Rechtsanwalt." Das ist unbedingt das höchste Lob, das aus diesen
Kreisen gespendet werden kann.
Die Mädchen von Düsseldorf — es ist Zufall, daß gerade ihr Wesen, ihre
Leichtgläubigkeit und ihre Unvorsichtigkeit hier zutage traten. In jeder Stadt,
in der beim Geschirrspülen sentimentale Lieder aus geöffneten Küchenfenstern
fallen, in der fettige Romanhefte neben Notiztafeln und Bindfäden in Tisch-
schubladen aufbewahrt, in der lyrische Postkarten serienweise verschickt werden,
überall da würde ein Mann wie Kürten gute Beute machen können. Es ist nur
ein Glück, daß die Mörder immer noch seltener sind als die sehnsüchtigen
Küchenmädchen.

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