stens etwas Ähnliches. W. Sapeschewski, Pilsudskis nächster Freund, zitiert
seine Worte: „Weißrußland, Litauen, die Ukraine sind die Grundlagen unserer
wirtschaftlichen Unabhängigkeit." Er fügt hinzu, daß Pilsudskis Traum die
Föderation sämtlicher europäischen Staaten wäre, da das aber keine leichte Sache sei,
so wollte er zunächst die Föderation einiger kleinerer Nationen schaffen, mit
Polen an der Spitze.
Vom Kriege des Jahres 1920 will ich nicht reden, er ist noch in jedermanns
Erinnerung, und ich überlasse das Urteil über ihn den Spezialisten. Es scheint,
daß sie den sonderbaren Verlauf dieses Krieges auf verschiedene Weise erklären.
Der Krieg endete für Polen günstig. Allein der katastrophale Juli-Rückzug hatte
der Volkstümlichkeit des Marschalls Pilsudski einen schweren Schlag versetzt.
Seine Gegner schrieben den Sieg den Aktionen des aus Paris eingetroffenen
Generals Weigand zu und wiesen ostentativ darauf hin, daß der Marschall
keinerlei militärische Ausbildung genossen habe. Als die Bolschewisten vor
Warschau standen, verlangten die Rechtspolitiker, Pilsudski solle das Ober-
kommando über die Truppen niederlegen. Die Ententeminister, Bonar Law,
Graf Sforza erklärten von der Parlamentstribüne, der Marsch der Polen auf Kiew
sei ein großer Fehler gewesen. Lloyd George wiederholte im Unterhaus immer
wieder, daß die Polen an allem selbst Schuld trügen, und daß die polnische Armee
den Feind nur dann zurückwerfen könnte, wenn an ihrer Spitze erfahrene, fähige
Männer stünden. Auf die Bitte der polnischen Regierung um Unterstützung
erwiderte das englische Regierungsoberhaupt, daß, wenn die Bolschewisten einen
Waffenstillstand ablehnen, man den Tschechen anheimstellen würde, den Polen
zu Hilfe zu kommen. Millerand entsandte General Weigand und tausend Offiziere.
Indes, eine der einflußreichsten Pariser Zeitungen schrieb am 10. August, daß,
wenn Polen nicht verstünde, Krieg zu führen, man nichts dazu tun könne: die
Grenze zwischen Polen und Rußland ginge letzten Endes die beiden Reiche
allein an. Nach dem Rückzug der Bolschewisten änderte sich der Ton. Doch eine
Trübung blieb zurück. Und zwar eine sehr starke Trübung.
Sie äußerte sich auch in den inneren polnischen Angelegenheiten. Nach der
Schaffung der polnischen Verfassung begann ein verbissener, hartnäckiger
Kampf des Landtags mit Pilsudski. Das Staatsoberhaupt respektierte die Kon-
stitution. Die Kabinette wechselten beständig. Jedoch Pilsudski fühlte sich, man
erkannte das deutlich, in der Rolle des konstitutionellen Staatsoberhaupts schwer
beengt. Welche seine Pläne und Ziele damals gewesen, ist schwer zu sagen. Noch
schwerer ist es, seine heutigen Absichten zu durchschauen.
Im Jahre 1922 stellte der Marschall seine Kandidatur für den Posten des
Präsidenten der Republik nicht mehr auf. An seine Stelle wurde sein Freund und
Anhänger Narutowicz gewählt. In den Straßen der Hauptstadt kam es zu Unruhen.
Einige Tage darauf wurde das neue Staatsoberhaupt von dem Fanatiker Newe-
domski ermordet. In Warschau drohte ein Bürgerkrieg auszubrechen. Die
Regierungsgewalt konzentrierte sich mehr und mehr in den Händen der Gegner
Pilsudskis. Als ein rechtes Kabinett ans Ruder kam, reichte der Marschall, der den
Posten des Generalstabschefs bekleidete, seinen Abschied ein und begab sich nach
Sulejuwka bei Warschau, wo er in einer ihm von seinen Legionären geschenkten
Villa Wohnung nahm.
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seine Worte: „Weißrußland, Litauen, die Ukraine sind die Grundlagen unserer
wirtschaftlichen Unabhängigkeit." Er fügt hinzu, daß Pilsudskis Traum die
Föderation sämtlicher europäischen Staaten wäre, da das aber keine leichte Sache sei,
so wollte er zunächst die Föderation einiger kleinerer Nationen schaffen, mit
Polen an der Spitze.
Vom Kriege des Jahres 1920 will ich nicht reden, er ist noch in jedermanns
Erinnerung, und ich überlasse das Urteil über ihn den Spezialisten. Es scheint,
daß sie den sonderbaren Verlauf dieses Krieges auf verschiedene Weise erklären.
Der Krieg endete für Polen günstig. Allein der katastrophale Juli-Rückzug hatte
der Volkstümlichkeit des Marschalls Pilsudski einen schweren Schlag versetzt.
Seine Gegner schrieben den Sieg den Aktionen des aus Paris eingetroffenen
Generals Weigand zu und wiesen ostentativ darauf hin, daß der Marschall
keinerlei militärische Ausbildung genossen habe. Als die Bolschewisten vor
Warschau standen, verlangten die Rechtspolitiker, Pilsudski solle das Ober-
kommando über die Truppen niederlegen. Die Ententeminister, Bonar Law,
Graf Sforza erklärten von der Parlamentstribüne, der Marsch der Polen auf Kiew
sei ein großer Fehler gewesen. Lloyd George wiederholte im Unterhaus immer
wieder, daß die Polen an allem selbst Schuld trügen, und daß die polnische Armee
den Feind nur dann zurückwerfen könnte, wenn an ihrer Spitze erfahrene, fähige
Männer stünden. Auf die Bitte der polnischen Regierung um Unterstützung
erwiderte das englische Regierungsoberhaupt, daß, wenn die Bolschewisten einen
Waffenstillstand ablehnen, man den Tschechen anheimstellen würde, den Polen
zu Hilfe zu kommen. Millerand entsandte General Weigand und tausend Offiziere.
Indes, eine der einflußreichsten Pariser Zeitungen schrieb am 10. August, daß,
wenn Polen nicht verstünde, Krieg zu führen, man nichts dazu tun könne: die
Grenze zwischen Polen und Rußland ginge letzten Endes die beiden Reiche
allein an. Nach dem Rückzug der Bolschewisten änderte sich der Ton. Doch eine
Trübung blieb zurück. Und zwar eine sehr starke Trübung.
Sie äußerte sich auch in den inneren polnischen Angelegenheiten. Nach der
Schaffung der polnischen Verfassung begann ein verbissener, hartnäckiger
Kampf des Landtags mit Pilsudski. Das Staatsoberhaupt respektierte die Kon-
stitution. Die Kabinette wechselten beständig. Jedoch Pilsudski fühlte sich, man
erkannte das deutlich, in der Rolle des konstitutionellen Staatsoberhaupts schwer
beengt. Welche seine Pläne und Ziele damals gewesen, ist schwer zu sagen. Noch
schwerer ist es, seine heutigen Absichten zu durchschauen.
Im Jahre 1922 stellte der Marschall seine Kandidatur für den Posten des
Präsidenten der Republik nicht mehr auf. An seine Stelle wurde sein Freund und
Anhänger Narutowicz gewählt. In den Straßen der Hauptstadt kam es zu Unruhen.
Einige Tage darauf wurde das neue Staatsoberhaupt von dem Fanatiker Newe-
domski ermordet. In Warschau drohte ein Bürgerkrieg auszubrechen. Die
Regierungsgewalt konzentrierte sich mehr und mehr in den Händen der Gegner
Pilsudskis. Als ein rechtes Kabinett ans Ruder kam, reichte der Marschall, der den
Posten des Generalstabschefs bekleidete, seinen Abschied ein und begab sich nach
Sulejuwka bei Warschau, wo er in einer ihm von seinen Legionären geschenkten
Villa Wohnung nahm.
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