Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0795
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Heft 8
DOI article:Götz-Bergroth, Aja: Märchen und Schnäpse in Finnland
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Eduard Kayser
Tagen mehr Leben fordert als irgendwelche Krankheit; es ist das Meer des
Lebens und der Zeit, darüber er sein schwaches Fahrzeug führen soll. Daß er
mit dem Leben davon kommt, darf man wohl sicher annehmen; da ja doch das
Glück nicht allein den Kühnen, sondern auch den Tollkühnen begleitet. Aber
wird er auch seine alte Kultur über das gefährliche Meer der jähen Änderungen
hinüberretten? Wird es ihm gelingen, fremde Kultur einzuschmelzen als einen
lebendigen Teil seiner eigenen Kultur? Und vor allen Dingen: wird er die Hell-
sichtigkeit bewahren, die nötig ist, um Kultur von Zivilisation unterscheiden
zu können? Wird er es verstehen, sich die allen modernen Menschen unentbehr-
lichen Güter der Zivilisation zu unterwerfen, so wie er jetzt seine Erdhitze aus-
nutzt, ohne in ersteren unterzugehen oder in letzteren verbrüht zu werden?
Vorläufig darf man hoffen, wenn man ja auch nicht ohne Angst der Zeit zusehen
wird. Aber hoffentlich glückt es. Hoffentlich darf man die Treibhäuser, die jetzt,
dank der inneren Hitze des Landes den isländischen Winter in ewigen Sommer
verwandeln, wo Gewächse und Früchte des Südens gedeihen und reifen, daß
man auch hier in so hohem Norden ihre Süße auf der Zunge verspüren kann,
hoffentlich kann man sie als ein glückliches Symbol betrachten.
Wir Isländer sollten indessen nicht wegen der Autos und Flugmaschinen
unser Pferd vergessen — das isländische Pferd, das beste aller Erdentiere. Und
der Fremde, der das isländische Pferd nicht kennen lernt, hat noch nicht die
beste Bekanntschaft gemacht, die man in Island machen kann. Wir Isländer
werden es nie vergessen, so lange es ein Island gibt, wird es Pferde geben, der
größte Teil des Landes wird nie zugänglich werden außer auf Pferderücken. Klein
ist das isländische Pferd, aber seine Kräfte sind groß und seine Bereitschaft
grenzenlos. Und seine Gutmütigkeit. Und sein Humor. Durch die schweren
Ströme hat es uns getragen, solange das Land bewohnt ist. Sind die Flüsse zu
tief, daß es den Grund erreichen könnte, schwimmt es mit uns hinüber. An
Hängen so steil, daß man selbst nur schwerlich dort Fuß fassen könnte, klettert
es sicher mit seinem Herrn im Sattel. Fällt es, und fällt man mit ihm, so ist es das
erste, was es tut, wenn es wieder auf den Beinen ist, daß es zu einem hinkommt,
einen anschnuppert, ob etwas im Wege ist. Hat man es eilig und läßt es laufen,
läuft es, bis es tot umfällt. Wenn die Menschen in Island bloß so tüchtig und treu
sind wie die Pferde: dann gibt es nichts zu befürchten.
Deutsch von Johann Jonsson
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