Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

DOI issue:
Heft 8
DOI article:
Der Bräutigam Henri Rousseau
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0798

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
herrn unendliche Kraft! Zuerst trank Frau H., dann wurde das Glas wieder ein
wenig geputzt und H. gereicht; zuletzt bediente sich Rousseau.
„Wo haben Sie denn mein Bild?", fragte H., als das vorüber war und er sich
umsah. Es sei fertig gewesen, sagte Rousseau verlegen. Aber ein eigensinniger
Käufer hätte es durchaus haben wollen. Dazu hätte er, Rousseau, damals
dringend eine größere Summe gebraucht, denn der Geburtstag seiner Braut hätte
unmittelbar bevorgestanden, und es sei längst seine Absicht gewesen, ihr eine
goldene Brosche zu schenken. Die hätte er nun gekauft. Ihre Eltern würden jetzt
ja wohl einsehen, wie einbringend der Beruf eines Musiklehrers sei!
„Seien Sie versichert", sagte er, „daß das neue Bild, das ich für Sie malen werde,
ganz so schön sein wird wie das erste. Ich mache es Ihnen genau, wie Sie wünschen.
Soll es wieder 60 mal 80 cm groß sein? Gut. — Und was soll ich malen? Wieder
Affen?"
„Ja, Affen."
„Wie viele? Und was sollen die Affen tun?"
„Fünf sollen es sein", sagte H., „fünf, die sich mit Orangen werfen."
„Ausgezeichnet. Sie werden alles bekommen. In einer Woche bringe ich Ihnen
das Bild."
H. sah eine Leinwand umgedreht an der Wand lehnen. „Was haben Sie da?"
fragte er.
„Das verkaufe ich nicht", sagte Rousseau sehr ernst. „Aber Ihnen will ich es
zeigen."
Es war eine Landschaft: Mitten im Urwald stand ein altmodisches rotes Sofa,
darauf lag eine nackte Frau.
„Erkennen Sie das Sofa?" fragte Rousseau. „Es ist dasselbe, auf dem Sie eben
sitzen. Und die Frau ist meine Braut."
„Sie hat Ihnen wohl zu dem Bilde Modell gestanden?" sagte H., ohne sich viel
dabei zu denken, aber er bereute es gleich. Rousseau war tief verletzt.
„Wie können Sie nur so etwas glauben!" rief er. „Mais ce serait degoutant!
Nur ein einziges Mal in all den Jahren ist meine Braut hier bei mir im Atelier
gewesen; eine halbe Stunde nur. Auf diesem Sofa hat sie gesessen im Straßenkleid,
und zur Erinnerung habe ich später das Bild gemalt."
Nach einer Woche brachte Rousseau wirklich das Bild mit den fünf Affen.
Seine Braut hätte ihm geschrieben und ihm für die Brosche gedankt, erzählte er.
Aber die Einwilligung der Eltern hätten sie noch immer nicht. „Oh, Sie haben es
gut, Sie Zwei!" rief er, indem er sich im Atelier umsah. Als sein Auge dann auf
Frau H. fiel, brach er plötzlich in Tränen aus.
Man sprach ihm zu: einmal würden die Eltern ja doch ein Einsehen haben, der
Augenblick könne nicht mehr fern sein. Endlich beruhigte er sich etwas. Im
Wunsch, ihm irgend etwas zu schenken, steckte man ihm — wie einem kleinen
Jungen — Äpfel und Nüsse für den Nachhauseweg in die Taschen, und er lächelte,
aber nicht ganz ehrlich und wohl nur, um die Freunde nicht zu enttäuschen.
Dennoch schien ihnen, es sei dieses Lächeln gewesen, durch das er getröstet war,
als er ging.

516
 
Annotationen